Betreff
Umsetzung Bundesteilhabegesetz und Auswirkungen auf die praktische Arbeit im BSD
Vorlage
51/033/2019
Art
Informationsvorlage

Sachverhalt:

 

Das „Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung“ (Bundesteilhabegesetz – BTHG) sieht in mehreren Reformstufen eine umfassende Neuregelung der Eingliederungshilfe vor.

Zum 01.01.2018 trat in einer ersten Stufe die Neufassung ersten Teils des SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen) in Kraft, in einem weiteren Reformschritt wird am 01.01.2020 das 6. Kapitel des SGB XII (Sozialhilfe) als zweiter Teil in das SGB IX überführt.

Für die Jugendhilfe hat diese Reform wesentliche Bedeutung, da in § 6 (1) 6 SGB IX der Träger der öffentlichen Jugendhilfe als Rehabilitationsträger für die Leistungsgruppen benannt ist für die

1. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation,

2. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,

4. Leistungen zur Teilhabe an Bildung und

5. Leistungen zur sozialen Teilhabe.

 

Hilfen für junge Menschen mit einer vorliegenden oder drohenden seelischen Behinderung sind seit je Aufgabe der Jugendhilfe. Sah man dies zunächst noch bei der Einführung des KJHG-SGB VIII als Form der Hilfen zur Erziehung an, wurde schon bald – 1993 – mit dem § 35 a SGB VIII ein eigener Leistungstatbestand in das Gesetz aufgenommen.

Eine besondere Herausforderung für die Eingliederungshilfe durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe ergab sich aus der Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen durch die Bundesrepublik, die am 26.März 2009 im Rang eines Bundesgesetzes in Kraft getreten ist. Insbesondere bei der Pflicht zur Sicherstellung einer integrativen Beschulung ist der öffentliche Jugendhilfeträger häufig zum Ausfallbürgen geworden, was zu einem sprunghaften Fallanstieg, zu neuen Angebotsformen, zu neuen Methoden der Bedarfsermittlung und zu neuen Anforderungen an die Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendhilfe geführt hat.

Aktuell gewährt das Jugendamt der Stadt Haan in 64 Fällen Eingliederungshilfe. Dazu gehören Maßnahmen wie ambulante Therapien, Schulbegleitungen, Beschulungen auf Privatschulen und die vollstationäre Unterbringung in Internaten oder geeigneten Einrichtungen.

Im Haushalt 2019 sind für Maßnahmen nach dem § 35a SGB VIII (Eingliederungshilfe) für

·       ambulante Hilfen für Minderjährige 495 Tsd. Euro veranschlagt,

·        für stationäre Hilfen für Minderjährige 190 Tsd. Euro,

·       für ambulante Hilfen für junge Volljährige 48 Tsd. Euro und

·        für stationäre Hilfen für junge Volljährige 56 Tsd. Euro.

 

Eingliederungshilfen für junge Menschen, die von einer seelischen Behinderung bedroht oder betroffen sind, gehören zu den Kernkompetenzen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe. Bereits im Vorfeld des BTHG hat sich das Jugendamt daher sowohl auf Leitungs- als auch auf Sachbearbeiterebene intensiv mit den kommenden Veränderungen in Arbeitskreisen, Fortbildungen und Fachtagungen auseinandergesetzt. Bei allen Jugendämtern war eine gewisse Verunsicherung spürbar, wie die neuen Regeln mit der bisherigen Praxis und bewährten Standards zu vereinbaren seien. Zudem kamen weitere Anforderungen und Aufgaben hinzu. Eine gemeinsame Arbeitshilfe der beiden Landesjugendämter NRW ist immer noch in Arbeit.

Wesentliche Punkte des BTHG sind:

1.    ein neuer Begriff von Behinderung:

Behinderung ist nicht mehr ein Merkmal eines Individuums, sondern ergibt sich aus der Beeinträchtigung eines Menschen in der Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren, die an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. (§2 SGB IX)

 

2.    die Selbstbestimmung

Dieser zentrale Begriff erscheint insgesamt zehnmal in der Neufassung des SGB IX.

3.    verbindliche Geltung

Die Regelungen des SGB IX gelten verbindlich für alle Rehabilitationsträger, also auch für den Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Als Rehabilitationsträger ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe einer von vielen. (§ 6 SGB IX)

 

4.    Bedarfsermittlung

Die Rehabilitationsträger stellen durch geeignete Maßnahmen sicher, dass ein Rehabilitationsbedarf frühzeitig erkannt und auf eine Antragstellung der Leistungsberechtigten hingewirkt wird. (§ 12 SGB IX)

Rehabilitationsträger sind verpflichtet, systematische Arbeitsprozesse und standardisierte Arbeitsmittel zu entwickeln. (§ 13 SGB IX)

 

5.    Zuständigkeit

Es sind enge Fristen vorgesehen, in denen der Rehabilitationsträger seine Zuständigkeit festzustellen und dann den Antrag zu bearbeiten oder weiterzuleiten hat. Damit soll vermieden werden, dass es Betroffenen zugemutet wird, bei Trägern wegen Nichtzuständigkeit abgewiesen zu werden oder wegen einer langwierigen Zuständigkeitsklärung lange auf eine Hilfe zu warten.

 

6.    Teilhabeplanung

Das Teilhabeplanverfahren sieht vor, dass ein leistender Rehabilitationsträger mehrere Hilfen aus unterschiedlichen Leistungsgruppen oder von mehreren Rehabilitationsträgern in einem Verfahren zu koordinieren hat. Es ersetzt nicht das Hilfeplanverfahren nach § 36 SGB VIII, sondern ergänzt es. Betroffene sollen die Hilfen so erfahren, als kommen sie aus einer Hand.

 

Fazit:

Mit dem BTHG und dem neuen SGB IX ist eine grundlegende Reform der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung eingeläutet worden.

Bezogen auf junge Menschen mit einer (drohenden) seelischen Behinderung ist davon vieles im Bereich des SGB VIII nicht neu. Bereits im Zuge der Einführung des SGB IX am 01.07.2001 wurde der § 35a SGB VIII dahingehend geändert, dass er auf das SGB IX verweist. Die Eingliederungshilfe des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe hatte sich also von Anfang an am SGB IX zu orientieren.

Dennoch stellt die Reform des SGB IX eine fachliche, konzeptionelle, und organisatorische Herausforderung für die Jugendämter dar:

·         Bereits bestehende fachliche Standards zur Ermittlung eines Bedarfes müssen überprüft werden.

·         In der bisherigen Praxis hat das Jugendamt bei gestellten Anträgen geprüft, ob ein Anspruch besteht und was die geeignete Maßnahme ist. Mit der Neufassung des SGB IX geht der Auftrag des Rehabilitationsträgers darüber hinaus. Nun ist es auch Aufgabe, den Rehabilitationsbedarf frühzeitig zu erkennen und auf eine Antragstellung hinzuwirken.

·         Als Rehabilitationsträger hat das Jugendamt eine Ansprechstelle für Leistungsberechtigte zu benennen.

·         Ein umfangreiches Spezialwissen zu seelischen Störungen und Teilhabehindernissen in verschiedenen Lebensbereichen ist erforderlich.

·         Insbesondere im Hinblick auf das Teilhabeverfahren ist eine enge Vernetzung mit anderen Rehabilitationsträgern, Kliniken, Fachdiensten, Schulen etc. notwendig.

·         Ein sprunghafter Anstieg der Fallzahlen wie nach der Ratifizierung der VN-Behindertenrechtskonvention ist eher nicht zu erwarten, allerdings wird der Aufwand der Bearbeitung durch neue Standards und zusätzliche Aufgaben (Teilhabeverfahrensbericht, Teilhabeplan…) höher. Noch nicht absehbar sind die Auswirkungen auf das Sachgebiet wirtschaftliche Erziehungshilfe hinsichtlich der Weiterleitung an zuständige Träger bei einer festgestellten Nichtzuständigkeit und bei Kostenerstattungsansprüchen im Teilhabeplanverfahren.

 

Fachlich ist das Jugendamt auf das Bundesteilhabegesetz gut eingestellt. Bereits seit Jahren beteiligt sich das Jugendamt an entsprechenden Netzwerkstrukturen (Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft des Kreises Mettmann, Kooperationstreffen der Jugendämter, Gesundheitsämter und der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Arbeitskreis 35a der Jugendämter im Kreis Mettmann) und im Vorfeld der Reformen hat sich das Jugendamt auf Fachtagungen und Fortbildungen auf einen aktuellen Stand gebracht.

Eingliederungshilfe für seelisch behinderte junge Menschen gehört im Rahmen des § 35a SGB VIII zu den Kernaufgaben des Bezirkssozialdienstes, weshalb dort bereits viel Spezialwissen vorhanden ist. Die Anforderungen des BTHG an das Jugendamt gehen aber darüber hinaus und um diesen gerecht zu werden, haben mittlerweile fast alle Jugendämter einen Spezialdienst Eingliederungshilfe geschaffen. Damit wird auch die Forderung des §12 SGB IX erfüllt, dass jeder Rehabilitationsträger eine Ansprechstelle für die Bereitstellung und Vermittlung von geeigneten barrierefreien Informationsangeboten zu benennen hat. Vorhandenes Spezialwissen wird in einem eigenen Dienst gebündelt und erweitert.

Im Jugendamt Haan ist geplant, diesen Spezialdienst innerhalb des Bezirkssozialdienstes durch eine Umverteilung von Zuständigkeiten zu schaffen, was personalneutral erfolgen kann.

 

Beschlussvorschlag:

 

Der JHA nimmt die Ausführungen zum Bundesteilhabegesetz zur Kenntnis.

Finanz. Auswirkung:

 

keine