Sachverhalt:
Das
„Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit
Behinderung“ (Bundesteilhabegesetz – BTHG) sieht in mehreren Reformstufen eine
umfassende Neuregelung der Eingliederungshilfe vor.
Zum
01.01.2018 trat in einer ersten Stufe die Neufassung ersten Teils des SGB IX
(Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen) in Kraft, in einem
weiteren Reformschritt wird am 01.01.2020 das 6. Kapitel des SGB XII
(Sozialhilfe) als zweiter Teil in das SGB IX überführt.
Für
die Jugendhilfe hat diese Reform wesentliche Bedeutung, da in § 6 (1) 6 SGB IX
der Träger der öffentlichen Jugendhilfe als Rehabilitationsträger für die
Leistungsgruppen benannt ist für die
1.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation,
2.
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,
4. Leistungen
zur Teilhabe an Bildung und
5.
Leistungen zur sozialen Teilhabe.
Hilfen
für junge Menschen mit einer vorliegenden oder drohenden seelischen Behinderung
sind seit je Aufgabe der Jugendhilfe. Sah man dies zunächst noch bei der
Einführung des KJHG-SGB VIII als Form der Hilfen zur Erziehung an, wurde schon
bald – 1993 – mit dem § 35 a SGB VIII ein eigener Leistungstatbestand in das
Gesetz aufgenommen.
Eine
besondere Herausforderung für die Eingliederungshilfe durch den Träger der
öffentlichen Jugendhilfe ergab sich aus der Ratifizierung der
Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen durch die Bundesrepublik,
die am 26.März 2009 im Rang eines Bundesgesetzes in Kraft getreten ist.
Insbesondere bei der Pflicht zur Sicherstellung einer integrativen Beschulung
ist der öffentliche Jugendhilfeträger häufig zum Ausfallbürgen geworden, was zu
einem sprunghaften Fallanstieg, zu neuen Angebotsformen, zu neuen Methoden der
Bedarfsermittlung und zu neuen Anforderungen an die Zusammenarbeit zwischen
Schule und Jugendhilfe geführt hat.
Aktuell
gewährt das Jugendamt der Stadt Haan in 64 Fällen Eingliederungshilfe. Dazu
gehören Maßnahmen wie ambulante Therapien, Schulbegleitungen, Beschulungen auf
Privatschulen und die vollstationäre Unterbringung in Internaten oder
geeigneten Einrichtungen.
Im
Haushalt 2019 sind für Maßnahmen nach dem § 35a SGB VIII (Eingliederungshilfe)
für
· ambulante Hilfen
für Minderjährige 495 Tsd. Euro veranschlagt,
· für stationäre Hilfen für Minderjährige 190
Tsd. Euro,
· für ambulante
Hilfen für junge Volljährige 48 Tsd. Euro und
· für stationäre Hilfen für junge Volljährige 56
Tsd. Euro.
Eingliederungshilfen
für junge Menschen, die von einer seelischen Behinderung bedroht oder betroffen
sind, gehören zu den Kernkompetenzen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe.
Bereits im Vorfeld des BTHG hat sich das Jugendamt daher sowohl auf Leitungs-
als auch auf Sachbearbeiterebene intensiv mit den kommenden Veränderungen in
Arbeitskreisen, Fortbildungen und Fachtagungen auseinandergesetzt. Bei allen
Jugendämtern war eine gewisse Verunsicherung spürbar, wie die neuen Regeln mit
der bisherigen Praxis und bewährten Standards zu vereinbaren seien. Zudem kamen
weitere Anforderungen und Aufgaben hinzu. Eine gemeinsame Arbeitshilfe der
beiden Landesjugendämter NRW ist immer noch in Arbeit.
Wesentliche
Punkte des BTHG sind:
1.
ein neuer Begriff von Behinderung:
Behinderung ist
nicht mehr ein Merkmal eines Individuums, sondern ergibt sich aus der
Beeinträchtigung eines Menschen in der Wechselwirkung mit einstellungs- und
umweltbedingten Barrieren, die an der gleichberechtigten Teilhabe an der
Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern
können. (§2 SGB IX)
2.
die Selbstbestimmung
Dieser zentrale Begriff erscheint insgesamt zehnmal
in der Neufassung des SGB IX.
3.
verbindliche Geltung
Die Regelungen des SGB IX gelten verbindlich für
alle Rehabilitationsträger, also auch für den Träger der öffentlichen
Jugendhilfe. Als Rehabilitationsträger ist der Träger der öffentlichen
Jugendhilfe einer von vielen. (§ 6 SGB IX)
4.
Bedarfsermittlung
Die Rehabilitationsträger stellen durch geeignete
Maßnahmen sicher, dass ein Rehabilitationsbedarf frühzeitig erkannt und auf
eine Antragstellung der Leistungsberechtigten hingewirkt wird. (§ 12 SGB IX)
Rehabilitationsträger sind verpflichtet,
systematische Arbeitsprozesse und standardisierte Arbeitsmittel zu entwickeln.
(§ 13 SGB IX)
5.
Zuständigkeit
Es sind enge Fristen vorgesehen, in denen der Rehabilitationsträger
seine Zuständigkeit festzustellen und dann den Antrag zu bearbeiten oder
weiterzuleiten hat. Damit soll vermieden werden, dass es Betroffenen zugemutet
wird, bei Trägern wegen Nichtzuständigkeit abgewiesen zu werden oder wegen
einer langwierigen Zuständigkeitsklärung lange auf eine Hilfe zu warten.
6.
Teilhabeplanung
Das
Teilhabeplanverfahren sieht vor, dass ein leistender Rehabilitationsträger
mehrere Hilfen aus unterschiedlichen Leistungsgruppen oder von mehreren
Rehabilitationsträgern in einem Verfahren zu koordinieren hat. Es ersetzt nicht
das Hilfeplanverfahren nach § 36 SGB VIII, sondern ergänzt es. Betroffene
sollen die Hilfen so erfahren, als kommen sie aus einer Hand.
Fazit:
Mit
dem BTHG und dem neuen SGB IX ist eine grundlegende Reform der
Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung eingeläutet worden.
Bezogen
auf junge Menschen mit einer (drohenden) seelischen Behinderung ist davon vieles
im Bereich des SGB VIII nicht neu. Bereits im Zuge der Einführung des SGB IX am
01.07.2001 wurde der § 35a SGB VIII dahingehend geändert, dass er auf das SGB
IX verweist. Die Eingliederungshilfe des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe
hatte sich also von Anfang an am SGB IX zu orientieren.
Dennoch
stellt die Reform des SGB IX eine fachliche, konzeptionelle, und
organisatorische Herausforderung für die Jugendämter dar:
·
Bereits bestehende fachliche Standards zur
Ermittlung eines Bedarfes müssen überprüft werden.
·
In der bisherigen Praxis hat das Jugendamt bei
gestellten Anträgen geprüft, ob ein Anspruch besteht und was die geeignete
Maßnahme ist. Mit der Neufassung des SGB IX geht der Auftrag des
Rehabilitationsträgers darüber hinaus. Nun ist es auch Aufgabe, den
Rehabilitationsbedarf frühzeitig zu erkennen und auf eine Antragstellung hinzuwirken.
·
Als Rehabilitationsträger hat das Jugendamt eine
Ansprechstelle für Leistungsberechtigte zu benennen.
·
Ein umfangreiches Spezialwissen zu seelischen
Störungen und Teilhabehindernissen in verschiedenen Lebensbereichen ist
erforderlich.
·
Insbesondere im Hinblick auf das Teilhabeverfahren
ist eine enge Vernetzung mit anderen Rehabilitationsträgern, Kliniken,
Fachdiensten, Schulen etc. notwendig.
·
Ein sprunghafter Anstieg der Fallzahlen wie nach
der Ratifizierung der VN-Behindertenrechtskonvention ist eher nicht zu
erwarten, allerdings wird der Aufwand der Bearbeitung durch neue Standards und
zusätzliche Aufgaben (Teilhabeverfahrensbericht, Teilhabeplan…) höher. Noch
nicht absehbar sind die Auswirkungen auf das Sachgebiet wirtschaftliche Erziehungshilfe
hinsichtlich der Weiterleitung an zuständige Träger bei einer festgestellten
Nichtzuständigkeit und bei Kostenerstattungsansprüchen im
Teilhabeplanverfahren.
Fachlich
ist das Jugendamt auf das Bundesteilhabegesetz gut eingestellt. Bereits seit Jahren
beteiligt sich das Jugendamt an entsprechenden Netzwerkstrukturen
(Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft des Kreises Mettmann, Kooperationstreffen
der Jugendämter, Gesundheitsämter und der Kinder- und Jugendpsychiatrie,
Arbeitskreis 35a der Jugendämter im Kreis Mettmann) und im Vorfeld der Reformen
hat sich das Jugendamt auf Fachtagungen und Fortbildungen auf einen aktuellen
Stand gebracht.
Eingliederungshilfe
für seelisch behinderte junge Menschen gehört im Rahmen des § 35a SGB VIII zu
den Kernaufgaben des Bezirkssozialdienstes, weshalb dort bereits viel
Spezialwissen vorhanden ist. Die Anforderungen des BTHG an das Jugendamt gehen
aber darüber hinaus und um diesen gerecht zu werden, haben mittlerweile fast
alle Jugendämter einen Spezialdienst Eingliederungshilfe geschaffen. Damit wird
auch die Forderung des §12 SGB IX erfüllt, dass jeder Rehabilitationsträger
eine Ansprechstelle für die Bereitstellung und Vermittlung von geeigneten
barrierefreien Informationsangeboten zu benennen hat. Vorhandenes Spezialwissen
wird in einem eigenen Dienst gebündelt und erweitert.
Im
Jugendamt Haan ist geplant, diesen Spezialdienst innerhalb des
Bezirkssozialdienstes durch eine Umverteilung von Zuständigkeiten zu schaffen,
was personalneutral erfolgen kann.
Beschlussvorschlag:
Der JHA nimmt die Ausführungen zum Bundesteilhabegesetz zur Kenntnis.
Finanz. Auswirkung:
keine