Betreff
Umbenennung von Straßen
hier: 1. Agnes-Miegel-Weg
2. Emil-Nolde-Straße
Vorlage
63/004/2022
Art
Beschlussvorlage

Sachverhalt:

 

Der Rat hat in seiner Sitzung vom 26. Januar 2021 unter TOP 11 beschlossen: „Der Agnes-Miegel-Weg sowie die Emil-Nolde-Straße werden umbenannt.“

 

 

Erläuterungen:

 

1. Agnes-Miegel-Weg

 

Am 1. September 2021 hatte die Stadtverwaltung die Anwohner_innen des Agnes-Miegel-Wegs zu einer Informationsveranstaltung in die Stadtbücherei eingeladen, um sie über den weiteren Verfahrensablauf zu informieren.

Die Verwaltung dankt den anwesenden Anwohner_innen für ihr Kommen und für das angenehme und konstruktive Gespräch. Als neuen Straßenamen schlugen die Anwohner_innen den Namen der Schriftstellerin Nelly Sachs vor, der auch innerhalb ihrer Straßengemeinschaft auf Zustimmung gestoßen ist. Diesen Vorschlag hat die Verwaltung gerne aufgegriffen und für die folgenden politischen Beratungen Informationen zu Nelly Sachs zusammengestellt. Ebenso bringt die Verwaltung den Wunsch der Anwohner_innen ein, beide Straßenbeschilderungen für eine Übergangszeit von ca. 2 Monaten aufzustellen.

 

Informationen zu Nelly Sachs:

Nelly Sachs    Bild der Autorin

Schriftstellerin
geboren am 10. Dezember 1891 in Berlin
gestorben am 12. Mai 1970 in Stockholm

Nelly Sachs wurde am 10. Dezember 1891 als Leonie Sachs in Berlin geboren. Sie wuchs als einziges Kind einer jüdischen Fabrikantenfamilie auf und wendete sich früh der Lyrik zu. Im Alter von fünfzehn Jahren begann sie einen Schriftwechsel mit der schwedischen Schriftstellerin Selma Lagerlöf.

1921 erfolgte eine erste Veröffentlichung, in den folgenden Jahren erschienen Gedichte und Erzählungen. Ab 1933 beschäftigte sie sich zunehmend mit ihrer jüdischen Abstammung. Im Mai 1940 floh Nelly Sachs mit ihrer verwitweten Mutter gerade noch rechtzeitig ins schwedische Exil. Sie hatte bereits ihren Deportationsbescheid erhalten. Für ihre Aufenthaltsgenehmigung in Schweden hatte sich auch Selma Lagerlöf eingesetzt. Schwere Depressionen begleiteten Nelly Sachs nach ihrer erzwungenen Flucht.

Ihr großes literarisches Schaffen beginnt mit den Werken, in denen sie sich mit der Verfolgung des jüdischen Volkes durch das NS-Regime, dem Leid und Tod in den deutschen Vernichtungslagern befasst („In den Wohnungen des Todes“, veröffentlich 1947, „Sternverdunkelung“, veröffentlicht 1949, „Eli. Ein Mysterienspiel vom Leiden Israels“, veröffentlicht 1951, u.v.m. in den folgenden Jahren). Die Werke ließen sie zur „Dichterin des jüdischen Schicksals“ werden.

Ab Ende der 1950er Jahre erhielt Nelly Sachs für ihr literarisches Schaffen zahlreiche Würdigungen und Preise. Unter anderem stiftete die Stadt Dortmund 1961 den Nelly-Sachs-Preis, der zuerst an die Namensgeberin ging und bis heute verliehen wird. 1965 erhielt sie als erste Frau den Friedenspreis des deutschen Buchhandels und 1966 schließlich den Literaturnobelpreis „für ihre hervorragenden lyrischen und dramatischen Werke, die das Schicksal Israels mit ergreifender Stärke interpretieren“.

In ihren letzten Lebensjahren zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück und starb am 12. Mai 1970 in Stockholm, wo sie auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt wurde.

Quellen:
Frauengeschichte in Düsseldorfer Straßennamen (uni-duesseldorf.de)
Nelly Sachs - Biografie WHO'S WHO (whoswho.de)

 

Nach Nelly Sachs sind Straßen in zahlreichen Städten benannt, u. a. in Leverkusen (2007), Ratingen, Langenfeld, Mettmann, Dortmund, Lüneburg, Bremerhaven, Ulm, Düsseldorf (1976; im Abschlussbericht zur Überprüfung Düsseldorfer Straßennamen als nicht belastet gelistet). Zudem sind u. a. das Nelly-Sachs-Gymnasium in Neuss und das jüdische Altenwohnheim Nelly-Sachs-Haus in Düsseldorf nach der Autorin benannt.

 

 

2. Emil-Nolde-Straße

 

Am 30. August 2021 hatte die Stadtverwaltung die Anwohner_innen der Emil-Nolde-Straße zu einer Informationsveranstaltung in die Stadtbücherei eingeladen, um sie über den weiteren Verfahrensablauf zu informieren.

Die Verwaltung dankt der anwesenden Anwohnerin für das angenehme und konstruktive Gespräch, in dessen Verlauf sie anregte, ihre Straße nach einer weiblichen Künstlerin zu benennen. U.a. schlug die Anwohnerin die Künstlerinnen Anni Albers und Hannah Höch vor, sowie die amerikanische Bürgerrechtlerin Rosa Parks. Wie sie dann nach 14 Tagen mitteilte, hatten sich die Anwohner_innen gemeinsam auf den Namen „Anni Albers“ verständigt. Gleichwohl wurde betont, dass der Erhalt des Straßennamens für die Anwohner_innen Priorität hätte (vgl. Anlage 1).

Die Verwaltung hat in der Zwischenzeit eine wissenschaftliche Expertise der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zum Namen „Anni Albers“ eingeholt, die den Namensvorschlag unterstützt.

Ebenso bringt die Verwaltung den Wunsch der Anwohner_innen ein, beide Straßenbeschilderungen für eine Übergangszeit von ca. 2 Monaten aufzustellen.

 

Expertise von Dr. Maria Müller-Scharek, Kuratorin, Wissenschaftliche Abteilung K20/ Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf:

26 November 2021

Warum bedenkenlos eine Straße nach der Künstlerin, Weberin, Designerin, Autorin und Lehrerin Anni Albers (1899-1994) benannt werden kann:

 

Annelise Elsa Frieda Fleischmann wurde am 12. Juni 1899 in eine bürgerliche Familie in Berlin geboren. Ihre Mutter entstammte der deutsch-jüdischen Verlegerfamilie Ullstein; ihr Vater besaß eine Möbelfabrik. In Rebellion gegen ihren wohlhabenden familiären Hintergrund strebte sie, die früh mit dem Zeichnen begonnen hatte, ein unkonventionelleres Leben als Künstlerin an. Nach Privatunterricht und zwei Semestern an der Kunstgewerbeschule Hamburg entschloss sie sich, Studentin am 1919 in Weimar gegründeten Bauhaus — einer Verbindung aus Kunstgewerbeschule und Akademie — zu werden. An dieser wegweisenden Schule lernte und arbeitete sie von 1922 bis 1933 überwiegend in der Textilwerkstatt. Unter dem politischen Druck der Nationalsozialisten musste das Bauhaus, nach Jahren in Dessau und schließlich in Berlin, seine Tore schließen. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Maler und Bauhaus-Professor Josef Albers, emigrierte Anni Albers Ende des Jahres 1933 in die Vereinigten Staaten von Amerika.

 

Dort konnten beide zunächst am innovativen Black Mountain College, Asheville, North Carolina, unterrichten, später in New Haven, Connecticut. Anni Albers, die am Bauhaus das Weben erlernt hatte, trug ihr Wissen weiter und wurde eine erfolgreiche und angesehene Künstlerin, Weberin, Designerin, Lehrerin und Autorin. Ihre „Pictorial Weavings" (Bildweberei), die sie ausdrücklich nicht als Gebrauchsgegenstände, sondern als Kunst verstand, stellte sie ab den späten 1940er Jahren in zahlreichen renommierten Kunstinstitutionen in den USA. später auch in Deutschland, aus. In ihre Heimat kehrte das Paar nur zu gelegentlichen Besuchen zurück; bis zu ihrem Tod lebten sie in der Nähe von New Haven.

 

In den 1950er Jahren nahm Anni Albers wiederholt Aufträge von jüdischen Gemeinden an und webte abstrakte, geheimnisvoll schimmernde Vorhänge, die in den Synagogen den Schrein der Thora-Rollen umrnantelten. Albers, die protestantisch getauft worden war und zuvor niemals eine Synagoge betreten hatte, war das religiöse jüdische Leben eher fremd. Sie bezeichnete sich als „nicht-jüdisch", außer in „Hitlers Sinn". Dass sie dennoch als dem Judentum verbunden wahrgenommen wurde, spiegelt sich schließlich auch in der Geschichte ihres Hauptwerks, Six Prayers (Sechs Gebete). Dieses schuf sie 1966/67 im Auftrag des Jewish Museum in New York. Diese Institution förderte künstlerische Werke, die explizit die Erinnerung und das Gedenken an die sechs Millionen Jüdinnen und Juden, die im Holocaust ermordet worden waren, stimulieren sollten. Anni Albers sechsteilige Arbeit aus einem komplex strukturierten Gewebe, über das sich schriftartige Lineaturen ziehen, wird bis heute als eines der Hauptwerke der Künstlerin irn Jewish Museum. Dieser letzten großen Arbeit am Webstuhl folgten produktive Jahre als Druckgrafikerin sowie als Autorin einer komplexen Geschichte des Webens, die 1965 unter dem Titel On Weaving publiziert wurde. Hochbetagt starb Anni Albers 1994.hr Leben war geprägt von großer intellektueller Offenheit, von künstlerischer und menschlicher Neugier sowie von einem vitalen Interesse am Leben und der Geschichte anderer Kulturen. Großzügig vermittelte sie nicht nur ihr Wissen um die älteste Kulturtechnik der Menschheit, sondern sorgte gemeinsam mit Josef Albers dafür, dass ihr Werk im Bewusstsein — und damit lebendig — bleiben kann.

 

1971 gründete das Paar die heute in Bethany, Connecticut, ansässige The Josef and Anni Albers Foundation, die ihr Vermächtnis bewahrt, vermittelt und in die Welt trägt. Nach dem Tod von Josef Albers, 1976, übergaben die Stiftung und die Künstlerin eine großzügige Schenkung an die Geburtsstadt ihres Mannes, Bottrop: Die etwa 100 Gemälde und Arbeiten auf Papier wurden der Grundstock für das 1983 im Bottroper Stadtpark eröffnete Josef Albers Museum Quadrat. In Erinnerung und zum Dank an Anni Albers, die 1994 verstarb, benannte die Stadt Bottrop 2020 den Platz vor dem Museum in Anni-Albers-Platz um.

 

Dr. Maria Müller-Schareck

Kuratorin (mit Ann Coxon und Briony Fer) der Ausstellung „Anni Albers", Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf / Tate Modern, London, 2018/19

Beschlussvorschlag:

 

1. Die Verwaltung schlägt auf Wunsch/Anregung der Anwohner_innen des Agnes-Miegel-Wegs vor, den Agnes-Miegel-Weg in Nelly-Sachs-Weg umzubenennen.

Beide Straßenbeschilderungen bleiben für eine Übergangszeit von ca. 2 Monaten gemeinsam aufgestellt.

2. Die Verwaltung schlägt auf Anregung der Anwohner_innen der Emil-Nolde-Straße vor, die Emil-Nolde-Straße in Anni-Albers-Straße umzubenennen.

Beide Straßenbeschilderungen bleiben für eine Übergangszeit von ca. 2 Monaten gemeinsam aufgestellt.