Betreff
Bericht über die finanzielle Lage zum 31.05.2022
Vorlage
20/048/2022
Aktenzeichen
20.1
Art
Informationsvorlage

Sachverhalt:

 

Die Grundlagen für die Ausführung des Haushaltes haben sich gegenüber der Planung 2022 vor dem Hintergrund des am 24. Februar 2022 begonnen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine und den damit verbundenen Fluchtbewegungen innerhalb Europas u.a. auch nach Deutschland sowie den gegenüber Russland beschlossenen Wirtschaftssanktionen gravierend verändert.

 

Die fortwährenden und weiterhin anhaltenden Kriegshandlungen, die Zerstörung großer Städte und das brutale Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung führten und führen zu einer gewaltigen Fluchtbewegung der ukrainischen Bevölkerung Richtung Westen. Die Europäische Union rechnete mit einer Massenflucht von 4 bis 5 Mio. Menschen und beschloss daher am 3. März die Aktivierung der Massenzustrom-Richtlinie 2001/55/EG. Die Richtlinie sieht ein unbürokratisches und unkompliziertes Verfahren zur Aufnahme der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine vor und garantiert Mindeststandards wie das Recht Arbeit aufzunehmen, Zugang zu Sozialsystemen und Zugang zu Bildung.

Als Antwort auf den völkerrechtswidrigen Angriff wurden umfangreiche Sanktionen gegenüber Russland beschlossen. Im Fokus stehen weiterhin Energielieferungen, auf die Deutschland in großem Umfang angewiesen ist. Hinsichtlich des Ausmaßes der Folgen eines Stopps insbesondere der Gaslieferungen durch Russland oder durch ein Embargo der EU auf die deutsche Wirtschaft sind sich die führenden Ökonomen nicht einig.

 

Der Krieg führt damit zu bislang nicht einkalkulierten finanziellen Belastungen für die Stadt Haan. Neben den Herausforderungen in Zusammenhang mit der Unterbringung und Versorgung von Kriegsflüchtlingen sind die direkten Auswirkungen auf den städtischen Haushalt durch die stark gestiegenen Energiepreise und die explodierenden Baukosten zu bewältigen und die indirekten Auswirkungen auf die örtliche Wirtschaft und damit die Entwicklung der Steuereinnahmen zu bewerten. Der Krieg verschärft damit noch einmal die bereits bestehenden Risiken für den städtischen Haushalt.

 

Die Einschätzung aus Dezember letzten Jahres, dass unmittelbar keine neue Flüchtlingswelle auf Deutschland zukommt und eine internationale Regelung für Asylbewerber innerhalb Europas gefunden wird, muss vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung vollständig revidiert werden.

Für die Stadt Haan wird in diesem Jahr mit einer Zuweisung von rd. 350 Flüchtlingen gerechnet. Neben afghanischen Ortskräften werden verstärkt ukrainische Kriegsflüchtlingen zugewiesen, von denen Ende Mai bereits 233 vor Ort angekommen sind.

Die schnelle Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten werden nach 2015 erneut zu einer nicht nur finanziellen Herausforderung, auch wenn diesmal viele private Unterkünfte angeboten werden. Die vom Land bereitgestellte bisherige Unterkunft in der ehemaligen Landesfinanzschule wurde aufgrund gravierender baulicher Mängel geschlossen. Eine Reaktivierung wird vor dem Hintergrund des extremen Materialengpasses und der stark gestiegenen Baukosten als nicht zielführend angesehen, da die kurzfristige Wiederherstellung der Nutzungsmöglichkeit nicht garantiert werden kann. Anders sieht es mit der geschlossenen Unterkunft an der Düsseldorfer Str. 141 a aus. Hier kann kurzfristig Wohnraum geschaffen werden. Neben vielfältigen privaten Angeboten musste auf Anordnung des Landes erneut die Turnhalle Adlerstr. als Notunterkunft hergerichtet. werden. In Zusammenarbeit mit dem THW und dem Malteser Hilfsdienst wurden hier kurzfristig Unterbringungsmöglichkeiten für bis zu 199 Personen geschaffen. Da zwischenzeitlich jedoch viele Ukrainer sogar wieder in ihre Heimat zurückkehren und weitere private Angebote zusätzlich hergerichtet werden, beabsichtigt die Verwaltung, die NUK in den Sommerferien wieder zurückzubauen.

Der Krieg verdeutlicht damit noch einmal die bereits bestehenden Risiken in Zusammenhang mit der Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen. Für die Herrichtung neuer Unterkünfte wird auch die Frage entscheidend sein, wie lange der Krieg dauert bzw. wie lange die Flüchtlinge in Deutschland bleiben wollen. Damit stellt nicht nur die Integration der hier bereits lebenden anerkannten Asylbewerber und geduldeten Flüchtlinge, die im Rahmen der Wohnsitzzuweisung für mindestens drei Jahre in Haan verbleiben müssen, sondern auch die zusätzlichen Ukrainer die Stadt vor große Herausforderungen. Will man die Menschen nicht dauerhaft in Massenunterkünften unterbringen, sind erhebliche Investitionen in den sozialen Wohnungsbau erforderlich, um nicht nur Flüchtlingen, sondern allen sozial benachteiligten Menschen in Haan angemessenen Wohnraum zur Verfügung stellen zu können. Gleichzeitig steigen aber die Baupreise extrem an, so dass hierdurch Anreize für die Bauwirtschaft, in diesem Segment tätig zu werden, nicht mehr gegeben sind. Nach Einschätzung der Branchenverbände steht der Wohnungsbau 2023 vor einem dramatischen Einbruch.

 

Die weiteren Kosten, die sich u.a. durch die Beschulung, durch Integrations- und Sprachkurse oder medizinische und psychologische Behandlungen ergeben, bergen zusätzliche finanzielle Risiken. Bund und Länder haben sich darauf verständigt, dass den Kriegsflüchtlingen ab dem 1.6.2022 Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII zu gewähren sind. D.h., die finanzielle Belastung läge dann zunächst beim Kreis. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Kreisumlage entwickelt. Einen Anspruch nach dem SGB werden jedoch nur registrierte Kriegsflüchtlinge haben. Solange sie nicht registriert sind, wird der Anspruch zunächst weiterhin nach dem AsylbLG erfüllt. Erst später erfolgt dann die Kostenerstattung. Aufgrund der sehr eingeschränkten Möglichkeiten der Registrierung, für die das Ausländeramt des Kreises zuständig ist, ist damit zu rechnen, dass die Stadt Haan zunächst in erheblichem Umfang in Vorleistung treten muss.

Hinsichtlich der Übernahme der lfd. Leistungen bis zum 31.5.2022 erfolgt die Erstattung im Rahmen der für jeden Flüchtling gewährten Pauschale nach dem FlüAG. Das MHKGB hat am 11.4.2022 zudem eine Verordnung zur Anwendung des Kommunalhaushaltsrechts im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Aufnahme und Unterbringung von anlässlich des Krieges in der Ukraine eingereisten Personen in den Kommunen im Land Nordrhein-Westfalen (KommunalhaushaltsrechtsanwendungsVO UA-Schutzsuchendenaufnahme) bekanntgegeben, wonach kurz gesagt die Verpflichtung zum Erlass einer Nachtragssatzung entfällt, soweit Auslöser die Aufnahme und Versorgung von Kriegsflüchtlingen ist. Die Finanzierung wird dabei als gewährleistet angesehen, da die Mittelherkunft nicht von Bedeutung sei und auch aus Liquiditätskrediten erfolgen könnte. Verkannt wird hierbei vollkommen, dass eine Kreditierung zwar im kameralen Landeshaushalt, nicht aber in der kommunalen Doppik eine Lösung darstellen kann. Die zusätzlichen Aufwendungen führen zu einer entsprechenden Belastung der kommunalen Haushalte ohne eine tatsächliche Kompensation sicherzustellen.

 

 

Daneben stellt die Entwicklung der Energieversorgung mit einem drastischen Anstieg der Energiepreise ein neues Risiko dar. Durch die Unsicherheiten in Zusammenhang mit einem Embargo von Gasimporten aus Russland durch die EU verstärkt sich dieses Risiko noch. Unabhängig davon, dass die Stadt Haan in nicht unerheblichem Umfang Energie selbst verbraucht und von den steigenden Preisen deshalb direkt betroffen ist, führt das Entlastungspaket des Bundes für Verbraucher und Unternehmen zu Einnahmeverlusten auf kommunaler Ebene. In direkten Zusammenhang dazu steht die konjunkturelle Entwicklung und damit die Entwicklung der Gewerbesteuern und der Gemeinschaftssteuern. Bislang gingen die Prognosen zur konjunkturellen Entwicklung nach Abklingen der Pandemie von einem starken Anstieg ab 2022 aus. Nach Ausbruch des Krieges hat sich die Lage aber stark verschlechtert. Die schon während der Corona-Pandemie zusammengebrochenen Lieferketten können nicht einfach wieder aufgenommen werden. Die Ukraine fällt als wichtiger Produzent von Vorerzeugnissen aus und Rohstoff- und Energielieferungen aus Russland sind Gegenstand der Sanktionen gegenüber Russland. Erneut zeigt sich die globale Vernetzung und starke Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft sehr deutlich. Wie problematisch sich der Rohstoff- und Materialmangel, insbesondere aber die Kappung von Energielieferungen aus Russland auf die deutsche Wirtschaft auswirken könnte, wird von den führenden Ökonomen unterschiedlich bewertet. Die Prognosen reichen von einem „verkraftbaren“ Einbruch der Wirtschaftsleistung um 3 – 5% bis zu einer schweren Rezession mit ihren entsprechenden Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und explodierenden Preisen über die nächsten 10 Jahre. Die weiterhin bestehenden Materialengpässe führen bereits jetzt zu stark steigenden Preisen. Besonders betroffen ist weiterhin die Bauwirtschaft. Folglich werden die neuen Bauprojekte nicht wie geplant umgesetzt werden können.

Die konjunkturelle Entwicklung stellt damit ein hohes, allgemeines Haushaltsrisiko dar. Gegenüber dem Vorjahr haben sich die Erwartungen verschlechtert.

 

 

Erträge / Einzahlungen

 

Zu berücksichtigen ist, dass sich die dargestellten konjunkturellen Risiken zum 31. Mai noch nicht manifestiert haben. Tatsächlich konnten bislang erhebliche Mehrerträge bei der Gewerbesteuer aus den ersten Abrechnung 2020 und den sich daraus ergebenden Anpassungen der Vorauszahlungen 2021/22 generiert werden. Herabsetzungen aufgrund der aktuellen Situation wurden bislang von den Unternehmen noch nicht beantragt.

Auch die Abrechnung des ersten Quartales der Einkommen- und Umsatzsteuer lag über den Erwartungen, so dass hier in der Hochrechnung Mehrerträge im Umfang von rd. 5 Mio. Euro erwartet werden. Auch die Stadtwerke konnten ein wesentlich besseres Ergebnis 2021 erzielen, als im Wirtschaftsplan zunächst angenommen wurde. Wie in den Vorjahren wollen die Stadtwerke den Gewinn vollständig ausschütten, so dass dem städtischen Haushalt entsprechende Mehrerträge zufließen.

 

Insgesamt wurden zum Stichtag 31.5.2022 Erträge in Höhe von rd. 66,1 Mio. € zum Soll gestellt. Die Sollstellungen liegen damit erheblich über den durchschnittlichen Sollstellungen der letzten drei Jahre zu diesem Zeitpunkt.

In dem Umfang, in dem die genannten Steuern und die Gewinnausschüttung der Stadtwerke zu Mehrerträgen führen, verringert sich der eingeplante außerordentliche Ertrag, so dass hier 3 Mio. Euro nicht realisiert werden können. Insgesamt wird zum Stand 31.5.2022 mit Gesamterträgen in Höhe von 103,1 Mio. Euro gerechnet. Die Verbesserung gegenüber der Planung beträgt damit 2,1 Mio. Euro.

 

 

In der Finanzrechnung machen sich die umfangreichen Mehrerträge positiv bemerkbar. Hier liegen die Einzahlungen über den durchschnittlichen Einzahlungen der letzten drei Jahre jeweils zu Ende Mai. Der Cashflow aus der laufenden Verwaltungstätigkeit ist positiv, alle zwischenzeitlich aufgenommenen Kassenkredite zur Überbrückung kurzfristiger Liquiditätsengpässe wurden vollständig zurückgeführt. Es wird nicht damit gerechnet, dass vor dem Hintergrund der Prognose für den Ergebnishaushalt eine längerfristige Aufnahme von Liquiditätskrediten über den Jahreswechsel hinaus erforderlich wird.

 

 

Die Einnahmeerwartung hat sich gegenüber den Vormonaten insbesondere auf Grund der sehr guten Entwicklung der Gewerbe- und der Einkommensteuer deutlich verbessert.

 

 

Aufwendungen / Auszahlungen

 

Zum Stand 31. Mai 2022 wurden rd. 53,6 Mio. € an zahlungswirksamen Aufwand verbucht. Die nicht zahlungswirksamen Aufwendungen werden zumeist erst im Rahmen der Jahresabschlusserstellung verbucht. Trotz erheblicher Mehraufwendungen bei den Transferleistungen für die Kriegsflüchtlinge (denen Mehrerträge aus der FlüAG Pauschale gegenüberstehen) wird in der Gesamtprognose nur mit leicht erhöhten Aufwendungen von insgesamt 106,7 Mio. Euro gerechnet. Damit liegen die Erwartungen fast auf Planniveau von 106,6 Mio. Euro.

 

 

In der Gesamtbetrachtung verbessert sich somit das erwartete Jahresergebnis um rd. 2 Mio. Euro, bleibt aber weiterhin mit – 3,6 Mio. Euro weiterhin negativ.

Die Prognose für 2022 ist jedoch stark von der Entwicklung des Krieges in der Ukraine abhängig und kann sich schnell verändern.

 

Beschlussvorschlag:

Die Informationen der Verwaltung werden zur Kenntnis genommen.

Finanz. Auswirkung: