Sachverhalt:
Siehe auch die Vorlagen 20/140/2020, 20/140/2020/1
und 20/053/2022
Seit der letzten Befassung im Rat mit dem
Thema am 19.6.2023 haben sich keine neuen Erkenntnisse ergeben, da die
Veröffentlichung des Urteils des BVerwG zur Tübinger Verpackungssteuer
weiterhin noch aussteht.
Bisherige Entwicklung in Haan
Die GAL Ratsfraktion stellte mit Schreiben vom 25.05.2020 einen Antrag
auf Erstellung einer Satzung über die Erhebung einer Verpackungssteuer auf
Einwegverpackungen. Der Vorschlag enthielt als Muster in weiten Teilen den
Satzungstext der Stadt Tübingen.
Aus der Antwort auf eine daraufhin erfolgte Anfrage der Verwaltung an
den Städte- und Gemeindebund (StGB) ging hervor, dass sich trotz der
novellierten Gesetzgebung an der Rechtslage keine grundlegende Änderung ergeben
habe. Zur Vermeidung unnötiger Prozessrisiken wurde vom StGB empfohlen, von der
Einführung einer kommunalen Verpackungssteuer Abstand zu nehmen, da die
Sachmaterie abschließend im Verpackungsgesetz geregelt sei und der
Bundesgesetzgeber weitere abfallrechtliche Bundesregelungen vorgesehen hat.
Aus Sicht des Antragstellers stellte die Antwort des StGB nicht die
aktuelle rechtliche Situation dar und der SUVA beschloss am 23.06.2020, „die
Stadtverwaltung Haan wird beauftragt, eine Satzung zur Erhebung einer
Verpackungssteuer auf Einwegverpackungen zu erstellen. Der Entwurf der Satzung
ist dem Rat in einer Sitzung im 4. Quartal des Jahres 2020 zur Entscheidung
vorzulegen“.
Mit Vorlage 20/140/2020 wurde von der Verwaltung der Entwurf einer
Verpackungssteuer erstellt, gleichzeitig wurde erneut auf das erhebliche
Prozessrisiko hingewiesen. Die Vorlage wurde von der Tagesordnung des HFA am
15.12.2020 heruntergenommen und am 2.2.2021 in der Sitzung des UMA weiter
thematisiert. Die GAL betonte, dass aus ihrer Sicht eine örtliche Verpackungssteuer
ein Instrument sei, um der Vermüllung entgegenzuwirken. Es gebe bereits
Ansätze, Mehrwegkonzepte in der Gastronomie umzusetzen. Um die Einführung einer
Verpackungssteuer voranzubringen, wurde im UMA beschlossen „Die Verwaltung wird beauftragt, in den Haaner
Gewerbebetrieben mit gastronomischem Angebot zu erheben, welche
Einwegverpackungen genutzt und gegen Mehrwegverpackungen ersetzt werden können.
Die Ergebnisse sind im übernächsten
UMA von der Verwaltung vorzustellen, um eine inhaltliche Diskussion zu ermöglichen.“
Die Erkenntnisse aus der Erhebung wurden in der Ergänzungsvorlage
20/140/2020/1 mitgeteilt.
Deutlich wurde in der Ergänzungsvorlage, dass zur Vermeidung von
Verpackungsmüll in Zusammenhang mit Take-away-Gerichten/Getränken bereits
einige Maßnahmen umgesetzt wurden.
Es werden z.B. Veranstalter darf hingewiesen, dass Mehrweggeschirr oder
Alternativen zu Plastikeinwegverpackungen verwendet werden sollen. In der
Haaner Nachhaltigkeitsstrategie wurde mit dem operativen Ziel 4.3.1
festgehalten, dass das Restmüllaufkommen in Haan gesenkt werden soll. Eine der
darunterfallenden Maßnahmen, das Thema Zero Waste der Bevölkerung näher zu
bringen, wurde im Programm der Abfallvermeidungswoche 2021 aufgriffen. Zudem
wird in der Nachhaltigkeitsstrategie auch das Thema „Leihen, Tauschen,
Reparieren“ als Ziel formuliert, welches ebenfalls drauf abzielt, Müll zu
vermeiden. Mit dem Klimaschutzkonzept werden weitere Maßnahmen angestoßen, die
auf Müllvermeidung abzielen. Das Programm der 1. Haaner Nachhaltigkeitswoche beschäftigte
sich mit dem Thema „Müllvermeidung im Alltag“.
Tübinger Verpackungssteuer
Seit Januar 2022 gilt in
Tübingen materialunabhängig eine Steuer auf Einwegverpackungen. Damit sollen
Einnahmen für den städtischen Haushalt erzielt, die Verunreinigung des
Stadtbildes durch im öffentlichen Raum entsorgte Verpackung verringert und ein
Anreiz für Verwendung von Mehrwegsystemen gesetzt werden. Besteuert werden
Einwegverpackungen, Einweggeschirr und Einwegbesteck, sofern Speisen und Getränke
darin bzw. damit für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle oder als
mitnehmbares „Take-Away-Gericht“ oder "Getränk" verkauft werden. Die
Steuer beträgt für jede Einwegverpackung 0,50 Euro, für jedes Einwegbesteck
(-set) 0,20 Euro. Der Steuersatz pro Einzelmahlzeit ist auf max. 1,50 Euro
begrenzt.
Gegen die Satzung wurde geklagt. Nachdem der VGH Baden-Württemberg die
Unzulässigkeit einer kommunalen Verpackungssteuer im Urteil vom 29.03.2022 (Az.
2 S 3814/20-) festgestellt hatte, wurde der Beschluss des SUVA zur Einführung
einer kommunalen Verpackungssteuer mit der Vorlage 20/053/2022 zunächst im UMA
am 13.09.2022 und im HFA am 18.10.2022 aufgehoben.
Gegen das Urteil hat die
Stadt Tübingen Revision eingelegt. Mit Urteil vom 24.05.2023 (Az: 9 CN 1.22)
hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die kommunale Verpackungssteuer der
Stadt Tübingen im Wesentlichen als rechtmäßig angesehen (vgl. hierzu die
Pressemitteilung Nr. 40/2023 vom 24.5.2023, abrufbar unter www.bundesverwaltungsgericht.de).
Nach Auffassung des BVerwG handelt es sich bei der Verpackungssteuer um eine örtliche
Verbrauchssteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 Grundgesetz, für deren
Einführung die Stadt Tübingen zuständig war. Bei den zum unmittelbaren Verzehr,
sei es an Ort und Stelle oder als Take-Away verkauften Speisen und Getränken
sei der Steuertatbestand so begrenzt, dass ihr Konsum- und damit der Verbrauch
der zugehörigen Verpackungen – bei typisierender Betrachtung innerhalb des
Gemeindegebietes stattfinde. Damit sei zugleich - so das BVerwG - der örtliche
Charakter der Steuer hinreichend gewahrt. Die kommunale Verpackungssteuer stehe
deshalb als Lenkungssteuer auch nicht im Widerspruch zum Abfallrecht des Bundes.
Diese bezwecke die Vermeidung von Verpackungsabfall im Stadtgebiet und verfolge
damit auf lokaler Ebene kein gegenläufiges, sondern dasselbe Ziel wie die
Europäische Union und der Bundesgesetzgeber. Die Abfallvermeidung stehe in der
Abfallhierarchie an oberster Stelle, wie sich aus der EU-Verpackungsrichtlinie,
der EU-Einweg-Kunststoffrichtlinie, dem Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG = Bundesabfallgesetz)
und dem Verpackungsgesetz (VerpackG) ergebe. Erst danach folgten - so das
BVerwG - in der 5-stufigen Abfallhierarchie (§ 6 Abs. 1 KrWG) die Vorbereitung
zur Wiederverwendung, die Verwertung und die Beseitigung des Abfalls.
Da bislang nur die
Pressemitteilung des BVerwG vorliegt, hat sich keine Veränderung zum Sachstand
seit der Mitteilung des StGB NRW Nr. 346/2023 vom 25.05.2023 (siehe Anlage)
ergeben, der sich die Verwaltung vollinhaltlich anschließt:
Zusammengefasst heißt es
dort: Kommunale Steuern, die Einwegverpackungen verteuern, werden – so das
BVerwG – durch die verschiedenen unions- und bundesrechtlichen Vorgaben zum
Abfallrecht nicht ausgeschlossen. Soweit das Bundesverfassungsgericht vor 25
Jahren seine gegenteilige Ansicht zur damaligen Verpackungssteuer in der Stadt
Kassel fixiert habe (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 07.05.1998 – 2 B vE
1991/95 u.a.), soll diese Argumentationslinie - so das BVerwG - auf der
Grundlage des heutigen Abfallrecht nicht mehr tragend sein. Gleichzeitig weist
das BVerwG in seiner Pressemitteilung Nr. 40/2023 darauf hin, dass die
Obergrenze der Besteuerung von 1,50 Euro pro „Einzelmahlzeit“ und das zeitlich
unbegrenzte Betretungsrecht im Rahmen der Steueraufsicht rechtswidrig sei.
Diese punktuellen Verstöße lassen aber – so das Bundesverwaltungsgericht – die
Rechtmäßigkeit der Satzung im Übrigen unberührt.
Die
Geschäftsstelle des Städte- und Gemeindebundes NRW weist ergänzend darauf hin,
dass im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom
07.05.1998 (Az: 2 BvR 199/95 u.a.) das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes
vom 24.05.2023 (Az. 9 CN 1.22) als überraschend anzusehen ist, denn das
Bundesverfassungsgericht hat damals die kommunale Einwegverpackungssteuersatzung
der Stadt Kassel für unzulässig erklärt. Insbesondere stand danach den Städten
und Gemeinden kein kommunales, abfallrechtliches Nachbesserungsrecht zu, wenn
entsprechende abfallrechtliche Bundesregelungen erlassen worden sind.
Hinzu kommt, dass seit dem 16.05.2023 das
Einwegkunststofffondsgesetz (EWKFondsG) des Bundes grundsätzlich in Kraft
getreten ist (BGBl. 2023 Nr. 124 vom 15.05.2023). Mit dem
Einwegkunststofffondgesetz sollen die Hersteller von bestimmten
Kunststoff-Einwegprodukten zukünftig ebenfalls an den Entsorgungskosten
beteiligt werden. Die Einwegkunststoffabgabe soll ab dem 01.01.2024 von den
Herstellern bestimmter Einwegkunststoffprodukte entrichtet werden und wird
erstmals im Jahr 2025 für das Jahr 2024 von diesen zu zahlen sein. Die
Einwegkunststoffabgabe soll auf der Grundlage des Entwurfes für eine
Einwegkunststofffondsverordnung insbesondere für Lebensmittelbehälter, Tüten-
und Folienverpackungen nicht bepfandete Getränkebehälter, bepfandete
Getränkebehälter, Getränkebecher, leichte Kunststoff-Tragetaschen,
Feuchttücher, Luftballons und Tabakprodukte mit Filtern und Filter für
Tabakprodukte gelten.
Es wird seitens der
Geschäftsstelle des Städte- und Gemeindebundes NRW deshalb zurzeit davon
ausgegangen, dass das Bundesverfassungsgericht erneut angerufen wird.
Außerdem ist zu beachten,
dass gemäß § 2 Abs. 2 KAG NRW eine Satzung über eine kommunale
Verpackungssteuer der Genehmigung des Kommunal- und des Finanzministeriums
bedarf, wenn eine Steuer erstmalig erhoben oder erneut eingeführt werden soll.
Steuerfreie Ausnahmen bei der Verpackungssteuer der Stadt Tübingen
Ergänzend sei auf die steuerfreien Ausnahmen der Tübinger
Verpackungssteuer hingewiesen, die sich in den beigefügten Erläuterungen ab
Seite 11 finden. Aus Sicht der Verwaltung tragen gerade diese Ausnahmen (fett
hervorgehoben) überwiegend zur städtischen Vermüllung bei und die Einführung
einer Verpackungssteuer führt an dieser Stelle nicht zu der von allen Seiten
gewünschten Müllvermeidung:
Für Kleinst-/Portionsverpackungen bis zu einer Füllmenge von 25 Gramm
bzw. 25 Millilitern wie zum Beispiel Senf-, Ketchup und Zuckersachets sowie
Besteck bis zu einer Größe von zehn Zentimetern (Pommespiekser, Eisspatel) und
Rührstäbchen für zum Beispiel Kaffee/Tee bis zu 14 Zentimetern muss keine
Verpackungssteuer gezahlt werden. Unter Besteck werden sämtliche Hilfsmittel
zur Nahrungs- und Getränkeaufnahme verstanden (zum Beispiel Stäbchen,
Trinkhalme).
Weitere Fälle ohne Besteuerung:
- Einwegverpackungen
für mitgenommene Speisereste nach einem Restaurantbesuch.
- Für
Getränke in Dosen oder Einweggetränkeflaschen, für die eine gesetzliche
Pfandpflicht entsprechend dem Verpackungsgesetz gilt.
- Speisen
und Getränke in Einwegverpackungen, die über einen sogenannten „drive in“
verkauft werden, fallen nicht unter die Verpackungsteuer. Der Grund dafür
ist die gezielte Art des Verkaufs an mobile Personen mit großer
Reichweite.
Alle Infos zur Tübinger Verpackungssteuer sind auf der städtischen
Internetseite der Stadt Tübingen zu finden: Verpackungssteuer -
Universitätsstadt Tübingen (tuebingen.de)
Steuerertrag und Personaleinsatz:
Die Recherche nach einem Haushaltsansatz für den in Tübingen
angenommenen möglichen Ertrag aus der Verpackungssteuer war erfolglos. In den Haushaltsplänen
2022 und 2023 sind hierfür weder Ansätze noch nähere Erläuterungen zu finden.
Die für die Einführung und Kontrolle der Verpackungssteuer
erforderlichen Stellenanteile im Innen- und Außendienst lassen sich ebenfalls
nicht aus dem Stellenplan der Stadt Tübingen ablesen.
Im Steueramt der Stadt Haan bestehen weder die personellen Ressourcen,
die Verpackungssteuer als erste Stadt in NRW voranzutreiben und die
erforderliche Genehmigung nach § 2 Abs. 2 KAG NRW bei den Ministerien
einzuholen, noch bestehen Ressourcen für die Erhebung, Veranlagung und
Kontrolle der Verpackungssteuer im Innen- und Außendienst. Die Verwaltung
empfiehlt daher die weitere Entwicklung zunächst abzuwarten.
Beschlussvorschlag:
Der Umwelt- und Mobilitätsausschuss nimmt die Ausführung der Verwaltung zur Kenntnis.
Finanz. Auswirkung:
Diese Informationsvorlage hat keine finanziellen Auswirkungen.
Die finanziellen Auswirkungen bei Einführung einer Verpackungssteuer sind nicht absehbar.