Sachverhalt:
Seit einigen Monaten gibt es immer größere Verzögerungen
bei der Bewilligung von unterstützenden Leistungen nach dem
Bundesteilhabegesetz (BTHG) für eine gleichberechtigte Teilhabe von Kindern mit
(drohender) Behinderung in den Kindertageseinrichtungen (Kita) durch den
Landschaftsverband Rheinland (LVR). Die Erziehungsberechtigten sind in großer
Sorge, wie eine gleichberechtigte Teilhabe ihrer Kinder mit (drohender)
Behinderung vor diesem Hintergrund zukünftig noch ermöglicht werden soll. Das
Elternnetzwerk „gemischte Tüte“ hat sich bereits mit einem offenen Brief
hilfesuchend an den LVR gewandt (siehe Anhang: „Offener Brief an den LVR“) –
leider bislang ohne öffentliche Reaktion durch diesen.
Aber nicht nur die Erziehungsberechtigten machen sich große
Sorgen um die zukünftige Betreuung ihrer Kinder. Auch die Träger der Kitas sind
angesichts der aktuell gängigen Bewilligungspraxis von (individuellen)
heilpädagogischen Leistungen durch den LVR zunehmend beunruhigt hinsichtlich
der Kinder mit nachgewiesenem besonderen Förderbedarf, die über einen langen Zeitraum
mit wenig bis keiner zusätzlichen Unterstützung die Kita besuchen müssen. Zudem
machen sie sich aber auch Sorgen um das ohnehin schon stark belastete
Kita-Personal, welches je nach Art der Behinderung des Kindes schnell an die
Grenzen seiner Möglichkeiten kommt. Vielfach ist eine zusätzliche Unterstützung
zwingend notwendig, um eine gleichberechtigte Teilhabe aller Kinder am Kita-Alltag
zu ermöglichen.
Entwicklung der Inklusion in den
Kindertageseinrichtungen (Kita)
Gem. § 22a Absatz 4 SGB VIII „Förderung in
Kindertageseinrichtungen“ sollen Kinder mit und Kinder ohne Behinderungen
gemeinsam gefördert werden. Die besonderen Bedürfnisse von Kindern mit
Behinderungen und von Kindern, die von Behinderung bedroht sind, sollen dabei
berücksichtigt werden. Menschen mit Behinderung sind laut § 2 SGB IX Menschen,
die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die
sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der
gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit
länger als sechs Monate hindern können. Diese gleichberechtigte Teilhabe gilt
es, durch verschiedene unterstützende Maßnahmen im Kita-Alltag herzustellen, so
dass eine gemeinsame Betreuung aller Kinder dauerhaft ermöglicht werden kann.
UN-Behindertenrechtskonvention
Mit der im März 2009 erfolgten Ratifizierung der
UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) hat sich Deutschland zur Umsetzung der
in ihr enthaltenen Menschenrechte verpflichtet. Seitdem ist sie geltendes Recht
in Deutschland und von allen staatlichen Stellen umzusetzen, u.a. die
Verpflichtung aus Art. 7 Abs. 1 UN-BRK – Kinder mit Behinderungen,
wonach „alle erforderlichen Maßnahmen (zu treffen sind), um zu gewährleisten,
dass Kinder mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Kindern alle
Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen können“. Demnach sind Menschen mit
(drohender) Behinderung innerhalb des allgemeinen Bildungssystems zu
unterstützen und nicht in exklusiven (heilpädagogischen) Einrichtungen auszuschließen.
In den heilpädagogischen Gruppen und Einrichtungen werden in der Regel Kinder
mit einem besonders hohen Teilhabebedarf betreut, welcher durch kleine
Gruppensettings, erhöhten Personalschlüssel oder durch die Anforderungen an ein
multiprofessionelles Team gedeckt werden kann. In den Verhandlungen zum Landesrahmenvertrag
nach §131 SGB IX wurde deutlich, dass alle Vertragspartner darin bestrebt
sind, diese besonderen Bedarfe grundsätzlich in allen Regelangeboten bedienen
zu können. Dadurch können Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam betreut und
gefördert werden, unabhängig von dem jeweiligen Förderbedarf.
Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von
Menschen mit Behinderung" - abgekürzt: das Bundesteilhabegesetz (BTHG)
Das "Gesetz zur Stärkung der
Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung" - abgekürzt:
das Bundesteilhabegesetz (BTHG) – trat Ende 2016 in Kraft. Hintergrund und
Ziel der Gesetzesreform war die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.
In mehreren Reformschritten soll das Teilhaberecht weiterentwickelt werden. Ein
wesentliches Element ist die Reform der sogenannten Eingliederungshilfe - den
Leistungen für Menschen mit Behinderung. Diese Änderungen traten am 1.
Januar 2020 in Kraft. Sie zielen auf mehr Selbstbestimmung und eine
gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen
Leben ab.
Mit der Umstellung der sog. „Fink-Pauschalen“ auf die
einrichtungsbezogenen Leistungen wurde dem BTHG und der UN-BRK Rechnung
getragen. Kinder mit (drohender) Behinderung sollen so individuell und
möglichst frühzeitig gefördert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, kommen bis
zur Einschulung unterschiedliche Eingliederungshilfeleistungen infrage. Eine
wichtige Rolle spielen hierbei heilpädagogische Leistungen in der
Kindertagesbetreuung. Diese werden allen Kindern mit Bedarf als
Strukturförderung, der Basisleistung I, gewährt. In diesem Kontext gibt
es zwei verschiedene Modelle: Das Modell „Zusatzkraft“ und das Modell „Gruppenstärkenabsenkung“.
Kern ist ein verbesserter Personalschlüssel je Kind mit (drohender)
Behinderung, der in beiden Modellen nahezu gleich ausgestaltet ist.
Bei dem Modell der Gruppenstärkenabsenkung wird die
Gruppenstärke pro Kind mit (drohender) Behinderung um einen Platz abgesenkt
sowie entsprechend Fachkraftstunden aufgebaut. Im Modell Zusatzkraft bleibt die
Gruppenstärke gemäß KiBiz unverändert; die zusätzlichen Fachkräfte zur
Betreuung der innerhalb dieser Gruppenstärke betreuten Kinder mit (drohender)
Behinderung werden durch den LVR finanziert. Die Träger melden, welches Modell
in der jeweiligen Einrichtung zum nächsten Kindergartenjahr gewählt wird. Ein
mehrfacher Wechsel oder verschiedene Modelle innerhalb einer Einrichtung sind
nicht möglich. In beiden Modellen müssen die Träger die KiBiz-Pauschalen für
eine Verbesserung des Betreuungsschlüssels einsetzen. Darüber hinaus müssen die
Mittel der Eingliederungshilfe (Basisleistung I) eingesetzt werden, um den im
Landesrahmenvertrag für den LVR ausgewiesenen Stundenumfang aufzubauen.
Sofern die Basisleistung I nicht ausreichend ist, um
den individuellen Teilhabebedarf des Kindes zu decken, können darüber hinaus
weitere individuelle heilpädagogische Leistungen (ihpL- auch Kita-Assistenz)
erbracht werden.
Der Antrag für beide Leistungen - Basisleistung I und die
individuellen heilpädagogischen Leistungen - ist von den Erziehungsberechtigten
an den LVR zu stellen. Der Bedarfsermittlung liegen die Beeinträchtigungen
zugrunde, die in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren
stehen und dazu führen, dass die Fähigkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft
eingeschränkt ist. Durchgeführt wird die Bedarfsermittlung durch das sog.
Fallmanagement des LVR vor Ort.
Der Antrag auf Feststellung einer (drohenden) Behinderung
kann formlos gestellt werden. Voraussetzung zur weiteren Bearbeitung ist die
Einwilligung in eine Schweigepflichtentbindung und die Vorlage von ärztlichen
Diagnosen (ICD) (oder einer Verdachtsdiagnose, einer Diagnostik oder einem
Kitabericht).
Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz
wurde im Juni 2021 mit dem Ziel initiiert, mit einer modernen Kinder- und
Jugendhilfe vor allem diejenigen Kinder, Jugendlichen und jungen Volljährigen
zu stärken, die besonderen Unterstützungsbedarf haben, um so der Verpflichtung
der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) Sorge zu tragen. Das Kinder- und
Jugendstärkungsgesetz stellt die Weichen für eine inklusive Weiterentwicklung
des SGB VIII, insbesondere auch zur Gesamtzuständigkeit der Kinder- und
Jugendhilfe für alle Kinder – ob mit oder ohne Behinderung. Das neue Kinder-
und Jugendstärkungsgesetz steht für Verbesserungen, vor allem für diejenigen
jungen Menschen,
- die benachteiligt sind,
- die unter belastenden
Lebensbedingungen aufwachsen oder
- die Gefahr laufen, von der sozialen
Teilhabe abgehängt zu werden.
Das Gesetz sieht gesetzliche Änderungen in fünf
Bereichen vor:
1. Besserer
Kinder- und Jugendschutz
2. Stärkung
von Kindern und Jugendlichen, die in Pflegefamilien oder in Einrichtungen der
Erziehungshilfe aufwachsen
3. Hilfen
aus einer Hand für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen
4. Mehr
Prävention vor Ort
5. Mehr
Beteiligung von jungen Menschen, Eltern und Familien
Zentrales Anliegen des Gesetzes zu dem Bereich 3
„Hilfen aus einer Hand für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen“ ist
die Schaffung einer Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen,
egal ob mit oder ohne Behinderung.
Für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen
und ihre Erziehungsberechtigten soll es so deutlich leichter werden, ihre
Rechte zu verwirklichen und die Leistungen zu bekommen, die ihnen zustehen.
Dies soll insbesondere durch
• eine Verankerung der Inklusion als Leitgedanken der Kinder-
und Jugendhilfe,
• eine grundsätzlich gemeinsame Betreuung von Kindern mit und
ohne Behinderungen in Kindertageseinrichtungen und auch dadurch, dass
• beteiligte Leistungsträger enger und verbindlicher
zusammenarbeiten müssen, erreicht werden.
• Betroffene Kinder, Jugendliche und ihre
Erziehungsberechtigten sollen zudem verbindlicher im Hinblick auf ihre
Leistungen, aber auch zu Zuständigkeiten und Leistungen anderer Systeme beraten werden.
• Ab 2024 sollen Erziehungsberechtigte zudem durch eine
Verfahrenslotsin oder einen Verfahrenslotsen unterstützt werden, der sie durch
das gesamte Verfahren begleitet.
• Ab 2028
soll die Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und
Jugendlichen – ob mit oder ohne Behinderung – leistungszuständig werden (sog.
„große Lösung”). Die konkrete Ausgestaltung ist noch offen.
Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (2021) verpflichtet
erstmals ausdrücklich zur inklusiven Weiterentwicklung der Kinder- und
Jugendhilfe und setzt damit einen verbindlichen Startschuss für alle Hilfe- und
Aufgabenfelder. Damit legt das KJSG fest, dass ab 2028 die Exklusion von
Kindern und Jugendlichen mit körperlichen und/oder geistigen Behinderungen aus
dem SGB IX enden soll und sie – wie alle anderen Kinder und Jugendlichen auch –
ebenfalls zu Leistungsberechtigten nach dem SGB VIII werden (sog. inklusive
Lösung/Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe). Damit wird die bisher
im Leistungssystem der Eingliederungshilfe liegende (Mit-)Verantwortung zur
Sicherstellung einer gleichberechtigten – sozialen, medizinischen, schulischen
und beruflichen – Teilhabe für diese jungen Menschen auf die Kinder- und
Jugendhilfe übergehen.
Die derzeitige Situation
Der Kita-Alltag macht es immer wieder deutlich: Der
KiBiz-Personalstundenrechner muss dringend überarbeitet und an die
Betreuungsbedarfe der Kitas angepasst werden. Nicht zuletzt durch die Vorlage
„Erweitertes Monitoring Betreuungszeitenausfall“ Nr. 51/105/2024 wird klar,
dass die bisherige Bemessung der Betreuungsstunden nicht auskömmlich ist, um
eine lückenlose Betreuung der Kinder zu gewährleisten. Die vorhandenen
sogenannten „sonstigen Personalkraftstunden“ in den jeweiligen Einrichtungen
reichen in der Praxis nicht aus, um (langzeit-)erkrankte Mitarbeiter_innen,
Urlaube, Fortbildungen oder Schwangerschaftsausfälle aufzufangen. Das System
Kita ist absolut unterfinanziert und überlastet. Zudem wollen viele
Mitarbeitende in den Kitas, auch aufgrund ihrer eigenen familiären Situation,
hauptsächlich in den Vormittagsstunden arbeiten, so dass vor allem die
Betreuung in den Nachmittagsstunden für die Träger kaum noch zu stemmen ist. Im
Jahr 2020 rief die Bundesregierung offiziell einen Fachkräftemangel der pädagogischen
Fachkräfte in Kitas aus. Seither wird zwar versucht, diesen durch verschiedene
Maßnahmen zu kompensieren, jedoch greifen die Maßnahmen nur schleppend, und der
demographische Wandel tut sein Übriges.
Vor diesem Hintergrund wirkt das Rundschreiben Nr.
41/3/2024 „Eingliederungshilfen für Kinder mit (drohender) Behinderung –
individuelle heilpädagogische Leistungen“ vom 14.05.2024 (siehe Anhang),
herausgegeben vom LVR, nahezu grotesk. In diesem wird ausgeführt, dass seit der
Übernahme der Leistungen durch den LVR am 01.01.2020 die Fallzahlen der individuellen
heilpädagogischen Leistungen (ihpL) entgegen dem Ziel, diese durch die
Bewilligung der (wesentlich günstigeren) Basisleistung I zu reduzieren, im
Laufe der Jahre perspektivisch immer weiter gestiegen sind. Eigentlich sollten
sich diese Leistungen: „zu den im Landesrahmenvertrag erläuterten
Ausnahmeleistungen entwickeln. Dies setze voraus, dass in den Kitas die
erforderlichen inklusiv pädagogischen Konzepte gelebt und strukturell umgesetzt
würden“. Die Träger werden hiermit in die Pflicht genommen, die vorhandenen
Strukturen weiterzuentwickeln und zeitnah an die neuen Gegebenheiten
anzupassen, obwohl die steigende Zahl der Anträge aufzeigt, dass ganz andere
Unterstützungsangebote erforderlich wären.
Die Realität zeigt, dass es bezüglich der Umsetzung einer
inklusiven Betreuung in den Kitas enorm viel Potential für Verbesserungen gibt.
Die Stadt Haan als Träger von drei Kitas hat sich für das Modell des
Fachkraftstundenaufbaus für die Erfüllung der Basisleistung I entschieden. Seit
dem Jahr 2022 wurden die sich hieraus ergebenden Stellen mehrfach (unbefristet)
ausgeschrieben. Mit dem Erfolg, dass seither lediglich eine Stelle besetzt
werden konnte. Interne Stellenverschiebungen waren bislang aufgrund weiterer
Vakanzen in den Einrichtungen nicht möglich. Dieses für alle Einrichtungen stellvertretende
Beispiel zeigt, dass sich der vom LVR gewünschte Ausbau der vorhandenen
Strukturen unter anderem aufgrund der personellen Situation mehr als schwierig
gestaltet und für die Träger zu einem großen Problem führt, mit welchem sie
bislang leider ziemlich allein dastehen.
Die Bewilligung der Basisleistung I und die sich daraus
ergebenden (finanziellen) Möglichkeiten sollen es den Fachkräften ermöglichen,
die Kinder mit besonderem Förderbedarf besser zu fördern und im Kita-Alltag bei
der gleichberechtigten Teilhabe zu unterstützen. Jedoch wird durch diese
Bewilligung keine 1:1-Betreuung möglich und die Kinder mit besonderem
Förderbedarf müssen sich in der Regel zu mehreren die zusätzliche Unterstützung
teilen. Entscheidet sich der Träger für eine Platzreduzierung, ist die
Gruppengröße zwar pro bewilligten Antrag um einen Platz reduziert, jedoch
funktioniert dieses Vorgehen nur, wenn schon vor Beginn des Kitajahres eine
Bewilligung vorhanden ist und der Träger die Gruppe entsprechend um einen Platz
reduziert planen konnte. Sollte der Bedarf einer besonderen Förderung
unterjährig auftreten (was bei so kleinen Kindern keine Seltenheit ist), kann
die Platzreduzierung in der Regel nicht stattfinden, da sich alle Kinder
bereits in den Gruppen befinden. Weitere Probleme gibt es bei der Aufstockung
der Fachkraftstunden. Diese sind an die Kinder, die die Einrichtung besuchen,
geknüpft. Entsprechend müssten die Träger die Arbeitsverträge befristet an den
Besuch des jeweiligen Kindes mit besonderem Förderbedarf binden. Der Erfolg
guter Hilfsstrukturen für Kinder mit besonderem Förderbedarf hängt jedoch
maßgeblich von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit innerhalb der Einrichtung
und einem guten Netzwerk ab, was wiederum eine Kontinuität der Mitarbeitenden
erfordert. Zudem werden befristete Stellenausschreibungen in diesen Zeiten
wenig erfolgversprechend enden.
Die Ankündigung des LVR -Rundschreibens „Der Einsatz von
ihpL muss in Zukunft eine Ausnahme im Sinne des Landesrahmenvertrages bleiben
und passgenau auf die Bedarfe des jeweiligen Kindes zugeschnitten sein (…) in
der Folge wird die Konzeption der ihpL als Ausnahmeleistung künftig konsequent
umgesetzt“ führt derzeit in der Praxis dazu, dass bereits gestellte
und/oder Folgeanträge der Eltern sehr lange Bearbeitungszeiten haben (von über
drei Monaten). Fallmanager sind sowohl via Mail als auch telefonisch nicht
erreichbar und Beratungstermine werden ohne Ersatz abgesagt. Dieses Vorgehen
geschieht städte- und trägerübergreifend. Die Erziehungsberechtigten und die
Kitas werden mit dem Problem der Betreuung allein gelassen. Der LVR beruft sich
darauf, dass die Träger, unabhängig von der Bewilligung der ihpL dazu
verpflichtet sind, die Kinder mit (drohender) Behinderung zu betreuen und diese
mithilfe eigener getroffener Maßnahmen zu ermöglichen. Die
Erziehungsberechtigten werden immer wieder darauf hingewiesen, dass die
Teilhabe ihrer Kinder am Kita-Alltag nicht davon abhängig sein darf, ob die
I-Helfer anwesend sind oder nicht (z.B. bei Ausfall aufgrund von Krankheit oder
Kündigung durch Überforderung der nicht geschulten Assistenzen).
Die Praxis zeigt jedoch, dass sich eine Betreuung der
Kinder mit besonderem Förderbedarf, vor allem in dem Falle, dass es sich um
sozial-emotionale Auffälligkeiten handelt, nur selten durch kitainterne
Maßnahmen umsetzen lässt. Diese Kinder haben z.B. keine bis eine geringe
Frustrationstoleranz. Diese kann dazu führen, dass die Kinder aus keinem zuvor
ersichtlichen Grund aus dem Nichts heraus mit Tischen oder Stühlen um sich
schmeißen. Sie beißen, treten oder würgen andere Kinder und/oder die
pädagogischen Fachkräfte, z.B. weil nicht umgehend auf ihr Bedürfnis reagiert
wurde und sie keine Handlungsalternative anwenden können. Dieses Verhalten
gefährdet nicht nur die eigene Person, es kann auch für die anderen Kinder oder
die Mitarbeitenden gefährlich werden. Die Verpflichtung der Träger, die Kinder
auch dann zu betreuen, wenn keine ihpL genehmigt wurden und/oder die
genehmigten Stunden nicht geleistet werden können, führt zu einer dauerhaften
Belastung der Gruppe und des Personals. Die Träger müssen Sorge haben, dass die
Mitarbeitenden, die einem solchen Verhalten dauerhaft ausgesetzt sind, unter
einer dauerhaften Überlastung leiden, krank werden und/oder kündigen.
Ein weiteres Problem ist, dass der Großteil der
eingesetzten I-Helfer kein pädagogisches Fachpersonal ist. Vielmehr sind die
meisten I-Helfer ungelernte Kräfte, die aufgrund des Verhaltens der sozial-emotional
auffälligen Kinder schnell an ihre Belastungsgrenze kommen und nicht selten die
Betreuung der ihnen anvertrauten Kinder wieder abgeben. Die Kinder erleben
diese Abbrüche der ihnen nahestehenden Betreuer als einen starken Verlust und
vielleicht sogar als eine Ablehnung ihrer Person, was für das Störungsbild
zusätzlich schädlich ist. In Haan gibt es mehrerer solcher Kinder, die im
Bereich des sozial-emotionalen Verhaltens Auffälligkeiten zeigen und in einer
Regel-Kita und in deren Strukturen kaum zu betreuen sind. Teils gibt es über
diese Kinder Berichte, aus denen ganz klar hervorgeht, dass sie bestmöglich in
heilpädagogischen Einrichtungen, möglichst in Kleinstgruppen betreut und
aufgefangen werden sollten. Die Wartelisten solcher heilpädagogischen
Einrichtungen im Kreis Mettmann sind jedoch lang. Die Fallmanager des LVR geben
die Rückmeldung, dass sie leider keine weiteren Betreuungsplätze in solchen
Einrichtungen zur Verfügung haben und die Kinder entsprechend in einer
(inklusiven) Regel-Kita untergebracht werden müssen.
Zudem kommt, dass es derzeit nicht nur gängige Praxis ist,
die Bewilligung der ihpL aufzuschieben. Auch die Bewilligungen der Anträge auf
die Basisleistung I stagnieren schon seit einiger Zeit und die Eltern geben den
Kitas die Rückmeldung, dass sie mit ihrem Antrag nicht weiterkommen.
Die derzeitige Praxis, gestellte Anträge liegen zu lassen
und insbesondere die Förderung der ihpL zurückzufahren und damit die Kosten der
BTHG-Leistungen massiv zu senken, wirft Fragen und Sorgen auf. Ab dem Jahr 2028
kommt die „große Lösung“, und die Kinder- und Jugendhilfe wird für alle Kinder
und Jugendlichen – ob mit oder ohne Behinderung – leistungszuständig werden.
Vor diesem Hintergrund erscheint eine Senkung der Kosten zu einer Zeit, in der
die Erhebung des Bedarfs für die Umsetzung der notwendigen Leistungen ansteht,
fragwürdig, aber durchaus zielführend, wenn ab 2028 möglichst wenig
Fördergelder für die Erfüllung der zukünftigen Aufgaben an die Kommunen weitergeleitet
werden sollen.
Zwischen Land NRW und Kommunen besteht aktuell auch im
Bereich der Kinder- und Jugendhilfe keine vertrauensvolle
Verantwortungsgemeinschaft. Die derzeitige Bewilligungspraxis durch den LVR
lässt vermuten, dass auf dem Rücken der Kinder mit Förderbedarf, deren Familien,
der Mitarbeitenden in Kitas und der kommunalen Finanzen gerade die Weichen für
eine erneut deutlich unterfinanzierte Aufgabenübertragung an die Kommunen ab
dem Jahr 2028 gestellt werden.
Beschlussvorschlag:
Die Ausführungen der Verwaltung werden zur Kenntnis genommen.
Finanz. Auswirkung:
keine
Nachhaltigkeitseinschätzung:
Bezugnehmend
auf den Kriterienkatalog für die Nachhaltigkeitseinschätzung der Haaner
Nachhaltigkeitsstrategie liegen weder fördernde noch hemmende Auswirkungen vor.