Betreff
Inklusion in Kitas - Bewilligung von Eingliederungsleistungen durch den LVR
Vorlage
51/107/2024
Art
Informationsvorlage

Sachverhalt:

Seit einigen Monaten gibt es immer größere Verzögerungen bei der Bewilligung von unterstützenden Leistungen nach dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) für eine gleichberechtigte Teilhabe von Kindern mit (drohender) Behinderung in den Kindertageseinrichtungen (Kita) durch den Landschaftsverband Rheinland (LVR). Die Erziehungsberechtigten sind in großer Sorge, wie eine gleichberechtigte Teilhabe ihrer Kinder mit (drohender) Behinderung vor diesem Hintergrund zukünftig noch ermöglicht werden soll. Das Elternnetzwerk „gemischte Tüte“ hat sich bereits mit einem offenen Brief hilfesuchend an den LVR gewandt (siehe Anhang: „Offener Brief an den LVR“) – leider bislang ohne öffentliche Reaktion durch diesen.

 

Aber nicht nur die Erziehungsberechtigten machen sich große Sorgen um die zukünftige Betreuung ihrer Kinder. Auch die Träger der Kitas sind angesichts der aktuell gängigen Bewilligungspraxis von (individuellen) heilpädagogischen Leistungen durch den LVR zunehmend beunruhigt hinsichtlich der Kinder mit nachgewiesenem besonderen Förderbedarf, die über einen langen Zeitraum mit wenig bis keiner zusätzlichen Unterstützung die Kita besuchen müssen. Zudem machen sie sich aber auch Sorgen um das ohnehin schon stark belastete Kita-Personal, welches je nach Art der Behinderung des Kindes schnell an die Grenzen seiner Möglichkeiten kommt. Vielfach ist eine zusätzliche Unterstützung zwingend notwendig, um eine gleichberechtigte Teilhabe aller Kinder am Kita-Alltag zu ermöglichen.

 

 

Entwicklung der Inklusion in den Kindertageseinrichtungen (Kita)

Gem. § 22a Absatz 4 SGB VIII „Förderung in Kindertageseinrichtungen“ sollen Kinder mit und Kinder ohne Behinderungen gemeinsam gefördert werden. Die besonderen Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen und von Kindern, die von Behinderung bedroht sind, sollen dabei berücksichtigt werden. Menschen mit Behinderung sind laut § 2 SGB IX Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Diese gleichberechtigte Teilhabe gilt es, durch verschiedene unterstützende Maßnahmen im Kita-Alltag herzustellen, so dass eine gemeinsame Betreuung aller Kinder dauerhaft ermöglicht werden kann.

 

UN-Behindertenrechtskonvention

Mit der im März 2009 erfolgten Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) hat sich Deutschland zur Umsetzung der in ihr enthaltenen Menschenrechte verpflichtet. Seitdem ist sie geltendes Recht in Deutschland und von allen staatlichen Stellen umzusetzen, u.a. die Verpflichtung aus Art. 7 Abs. 1 UN-BRK – Kinder mit Behinderungen, wonach „alle erforderlichen Maßnahmen (zu treffen sind), um zu gewährleisten, dass Kinder mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Kindern alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen können“. Demnach sind Menschen mit (drohender) Behinderung innerhalb des allgemeinen Bildungssystems zu unterstützen und nicht in exklusiven (heilpädagogischen) Einrichtungen auszuschließen. In den heilpädagogischen Gruppen und Einrichtungen werden in der Regel Kinder mit einem besonders hohen Teilhabebedarf betreut, welcher durch kleine Gruppensettings, erhöhten Personalschlüssel oder durch die Anforderungen an ein multiprofessionelles Team gedeckt werden kann. In den Verhandlungen zum Landesrahmenvertrag nach §131 SGB IX wurde deutlich, dass alle Vertragspartner darin bestrebt sind, diese besonderen Bedarfe grundsätzlich in allen Regelangeboten bedienen zu können. Dadurch können Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam betreut und gefördert werden, unabhängig von dem jeweiligen Förderbedarf.

 

Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung" - abgekürzt: das Bundesteilhabegesetz (BTHG)

Das "Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung" - abgekürzt: das Bundesteilhabegesetz (BTHG) – trat Ende 2016 in Kraft. Hintergrund und Ziel der Gesetzesreform war die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. In mehreren Reformschritten soll das Teilhaberecht weiterentwickelt werden. Ein wesentliches Element ist die Reform der sogenannten Eingliederungshilfe - den Leistungen für Menschen mit Behinderung. Diese Änderungen traten am 1. Januar 2020 in Kraft. Sie zielen auf mehr Selbstbestimmung und eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben ab.

 

Mit der Umstellung der sog. „Fink-Pauschalen“ auf die einrichtungsbezogenen Leistungen wurde dem BTHG und der UN-BRK Rechnung getragen. Kinder mit (drohender) Behinderung sollen so individuell und möglichst frühzeitig gefördert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, kommen bis zur Einschulung unterschiedliche Eingliederungshilfeleistungen infrage. Eine wichtige Rolle spielen hierbei heilpädagogische Leistungen in der Kindertagesbetreuung. Diese werden allen Kindern mit Bedarf als Strukturförderung, der Basisleistung I, gewährt. In diesem Kontext gibt es zwei verschiedene Modelle: Das Modell „Zusatzkraft“ und das Modell „Gruppenstärkenabsenkung“. Kern ist ein verbesserter Personalschlüssel je Kind mit (drohender) Behinderung, der in beiden Modellen nahezu gleich ausgestaltet ist.

 

Bei dem Modell der Gruppenstärkenabsenkung wird die Gruppenstärke pro Kind mit (drohender) Behinderung um einen Platz abgesenkt sowie entsprechend Fachkraftstunden aufgebaut. Im Modell Zusatzkraft bleibt die Gruppenstärke gemäß KiBiz unverändert; die zusätzlichen Fachkräfte zur Betreuung der innerhalb dieser Gruppenstärke betreuten Kinder mit (drohender) Behinderung werden durch den LVR finanziert. Die Träger melden, welches Modell in der jeweiligen Einrichtung zum nächsten Kindergartenjahr gewählt wird. Ein mehrfacher Wechsel oder verschiedene Modelle innerhalb einer Einrichtung sind nicht möglich. In beiden Modellen müssen die Träger die KiBiz-Pauschalen für eine Verbesserung des Betreuungsschlüssels einsetzen. Darüber hinaus müssen die Mittel der Eingliederungshilfe (Basisleistung I) eingesetzt werden, um den im Landesrahmenvertrag für den LVR ausgewiesenen Stundenumfang aufzubauen.

 

Sofern die Basisleistung I nicht ausreichend ist, um den individuellen Teilhabebedarf des Kindes zu decken, können darüber hinaus weitere individuelle heilpädagogische Leistungen (ihpL- auch Kita-Assistenz) erbracht werden.

 

Der Antrag für beide Leistungen - Basisleistung I und die individuellen heilpädagogischen Leistungen - ist von den Erziehungsberechtigten an den LVR zu stellen. Der Bedarfsermittlung liegen die Beeinträchtigungen zugrunde, die in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren stehen und dazu führen, dass die Fähigkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt ist. Durchgeführt wird die Bedarfsermittlung durch das sog. Fallmanagement des LVR vor Ort.

 

Der Antrag auf Feststellung einer (drohenden) Behinderung kann formlos gestellt werden. Voraussetzung zur weiteren Bearbeitung ist die Einwilligung in eine Schweigepflichtentbindung und die Vorlage von ärztlichen Diagnosen (ICD) (oder einer Verdachtsdiagnose, einer Diagnostik oder einem Kitabericht).

 

Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz wurde im Juni 2021 mit dem Ziel initiiert, mit einer modernen Kinder- und Jugendhilfe vor allem diejenigen Kinder, Jugendlichen und jungen Volljährigen zu stärken, die besonderen Unterstützungsbedarf haben, um so der Verpflichtung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) Sorge zu tragen. Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz stellt die Weichen für eine inklusive Weiterentwicklung des SGB VIII, insbesondere auch zur Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder – ob mit oder ohne Behinderung. Das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz steht für Verbesserungen, vor allem für diejenigen jungen Menschen,

-           die benachteiligt sind,

-           die unter belastenden Lebensbedingungen aufwachsen oder

-           die Gefahr laufen, von der sozialen Teilhabe abgehängt zu werden.

 

Das Gesetz sieht gesetzliche Änderungen in fünf Bereichen vor:

1.         Besserer Kinder- und Jugendschutz

2.         Stärkung von Kindern und Jugendlichen, die in Pflegefamilien oder in Einrichtungen der Erziehungshilfe aufwachsen

3.         Hilfen aus einer Hand für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen

4.         Mehr Prävention vor Ort

5.         Mehr Beteiligung von jungen Menschen, Eltern und Familien

 

Zentrales Anliegen des Gesetzes zu dem Bereich 3 „Hilfen aus einer Hand für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen“ ist die Schaffung einer Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen, egal ob mit oder ohne Behinderung.

Für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und ihre Erziehungsberechtigten soll es so deutlich leichter werden, ihre Rechte zu verwirklichen und die Leistungen zu bekommen, die ihnen zustehen. Dies soll insbesondere durch

          eine Verankerung der Inklusion als Leitgedanken der Kinder- und Jugendhilfe,

          eine grundsätzlich gemeinsame Betreuung von Kindern mit und ohne Behinderungen in Kindertageseinrichtungen und auch dadurch, dass

          beteiligte Leistungsträger enger und verbindlicher zusammenarbeiten müssen, erreicht werden.

          Betroffene Kinder, Jugendliche und ihre Erziehungsberechtigten sollen zudem verbindlicher im Hinblick auf ihre Leistungen, aber auch zu Zuständigkeiten und Leistungen anderer Systeme beraten werden.

          Ab 2024 sollen Erziehungsberechtigte zudem durch eine Verfahrenslotsin oder einen Verfahrenslotsen unterstützt werden, der sie durch das gesamte Verfahren begleitet.

          Ab 2028 soll die Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen – ob mit oder ohne Behinderung – leistungszuständig werden (sog. „große Lösung”). Die konkrete Ausgestaltung ist noch offen.

Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (2021) verpflichtet erstmals ausdrücklich zur inklusiven Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe und setzt damit einen verbindlichen Startschuss für alle Hilfe- und Aufgabenfelder. Damit legt das KJSG fest, dass ab 2028 die Exklusion von Kindern und Jugendlichen mit körperlichen und/oder geistigen Behinderungen aus dem SGB IX enden soll und sie – wie alle anderen Kinder und Jugendlichen auch – ebenfalls zu Leistungsberechtigten nach dem SGB VIII werden (sog. inklusive Lösung/Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe). Damit wird die bisher im Leistungssystem der Eingliederungshilfe liegende (Mit-)Verantwortung zur Sicherstellung einer gleichberechtigten – sozialen, medizinischen, schulischen und beruflichen – Teilhabe für diese jungen Menschen auf die Kinder- und Jugendhilfe übergehen.

 

 

Die derzeitige Situation

Der Kita-Alltag macht es immer wieder deutlich: Der KiBiz-Personalstundenrechner muss dringend überarbeitet und an die Betreuungsbedarfe der Kitas angepasst werden. Nicht zuletzt durch die Vorlage „Erweitertes Monitoring Betreuungszeitenausfall“ Nr. 51/105/2024 wird klar, dass die bisherige Bemessung der Betreuungsstunden nicht auskömmlich ist, um eine lückenlose Betreuung der Kinder zu gewährleisten. Die vorhandenen sogenannten „sonstigen Personalkraftstunden“ in den jeweiligen Einrichtungen reichen in der Praxis nicht aus, um (langzeit-)erkrankte Mitarbeiter_innen, Urlaube, Fortbildungen oder Schwangerschaftsausfälle aufzufangen. Das System Kita ist absolut unterfinanziert und überlastet. Zudem wollen viele Mitarbeitende in den Kitas, auch aufgrund ihrer eigenen familiären Situation, hauptsächlich in den Vormittagsstunden arbeiten, so dass vor allem die Betreuung in den Nachmittagsstunden für die Träger kaum noch zu stemmen ist. Im Jahr 2020 rief die Bundesregierung offiziell einen Fachkräftemangel der pädagogischen Fachkräfte in Kitas aus. Seither wird zwar versucht, diesen durch verschiedene Maßnahmen zu kompensieren, jedoch greifen die Maßnahmen nur schleppend, und der demographische Wandel tut sein Übriges.

 

Vor diesem Hintergrund wirkt das Rundschreiben Nr. 41/3/2024 „Eingliederungshilfen für Kinder mit (drohender) Behinderung – individuelle heilpädagogische Leistungen“ vom 14.05.2024 (siehe Anhang), herausgegeben vom LVR, nahezu grotesk. In diesem wird ausgeführt, dass seit der Übernahme der Leistungen durch den LVR am 01.01.2020 die Fallzahlen der individuellen heilpädagogischen Leistungen (ihpL) entgegen dem Ziel, diese durch die Bewilligung der (wesentlich günstigeren) Basisleistung I zu reduzieren, im Laufe der Jahre perspektivisch immer weiter gestiegen sind. Eigentlich sollten sich diese Leistungen: „zu den im Landesrahmenvertrag erläuterten Ausnahmeleistungen entwickeln. Dies setze voraus, dass in den Kitas die erforderlichen inklusiv pädagogischen Konzepte gelebt und strukturell umgesetzt würden“. Die Träger werden hiermit in die Pflicht genommen, die vorhandenen Strukturen weiterzuentwickeln und zeitnah an die neuen Gegebenheiten anzupassen, obwohl die steigende Zahl der Anträge aufzeigt, dass ganz andere Unterstützungsangebote erforderlich wären.

 

Die Realität zeigt, dass es bezüglich der Umsetzung einer inklusiven Betreuung in den Kitas enorm viel Potential für Verbesserungen gibt. Die Stadt Haan als Träger von drei Kitas hat sich für das Modell des Fachkraftstundenaufbaus für die Erfüllung der Basisleistung I entschieden. Seit dem Jahr 2022 wurden die sich hieraus ergebenden Stellen mehrfach (unbefristet) ausgeschrieben. Mit dem Erfolg, dass seither lediglich eine Stelle besetzt werden konnte. Interne Stellenverschiebungen waren bislang aufgrund weiterer Vakanzen in den Einrichtungen nicht möglich. Dieses für alle Einrichtungen stellvertretende Beispiel zeigt, dass sich der vom LVR gewünschte Ausbau der vorhandenen Strukturen unter anderem aufgrund der personellen Situation mehr als schwierig gestaltet und für die Träger zu einem großen Problem führt, mit welchem sie bislang leider ziemlich allein dastehen.

 

Die Bewilligung der Basisleistung I und die sich daraus ergebenden (finanziellen) Möglichkeiten sollen es den Fachkräften ermöglichen, die Kinder mit besonderem Förderbedarf besser zu fördern und im Kita-Alltag bei der gleichberechtigten Teilhabe zu unterstützen. Jedoch wird durch diese Bewilligung keine 1:1-Betreuung möglich und die Kinder mit besonderem Förderbedarf müssen sich in der Regel zu mehreren die zusätzliche Unterstützung teilen. Entscheidet sich der Träger für eine Platzreduzierung, ist die Gruppengröße zwar pro bewilligten Antrag um einen Platz reduziert, jedoch funktioniert dieses Vorgehen nur, wenn schon vor Beginn des Kitajahres eine Bewilligung vorhanden ist und der Träger die Gruppe entsprechend um einen Platz reduziert planen konnte. Sollte der Bedarf einer besonderen Förderung unterjährig auftreten (was bei so kleinen Kindern keine Seltenheit ist), kann die Platzreduzierung in der Regel nicht stattfinden, da sich alle Kinder bereits in den Gruppen befinden. Weitere Probleme gibt es bei der Aufstockung der Fachkraftstunden. Diese sind an die Kinder, die die Einrichtung besuchen, geknüpft. Entsprechend müssten die Träger die Arbeitsverträge befristet an den Besuch des jeweiligen Kindes mit besonderem Förderbedarf binden. Der Erfolg guter Hilfsstrukturen für Kinder mit besonderem Förderbedarf hängt jedoch maßgeblich von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit innerhalb der Einrichtung und einem guten Netzwerk ab, was wiederum eine Kontinuität der Mitarbeitenden erfordert. Zudem werden befristete Stellenausschreibungen in diesen Zeiten wenig erfolgversprechend enden.

 

Die Ankündigung des LVR -Rundschreibens „Der Einsatz von ihpL muss in Zukunft eine Ausnahme im Sinne des Landesrahmenvertrages bleiben und passgenau auf die Bedarfe des jeweiligen Kindes zugeschnitten sein (…) in der Folge wird die Konzeption der ihpL als Ausnahmeleistung künftig konsequent umgesetzt“ führt derzeit in der Praxis dazu, dass bereits gestellte und/oder Folgeanträge der Eltern sehr lange Bearbeitungszeiten haben (von über drei Monaten). Fallmanager sind sowohl via Mail als auch telefonisch nicht erreichbar und Beratungstermine werden ohne Ersatz abgesagt. Dieses Vorgehen geschieht städte- und trägerübergreifend. Die Erziehungsberechtigten und die Kitas werden mit dem Problem der Betreuung allein gelassen. Der LVR beruft sich darauf, dass die Träger, unabhängig von der Bewilligung der ihpL dazu verpflichtet sind, die Kinder mit (drohender) Behinderung zu betreuen und diese mithilfe eigener getroffener Maßnahmen zu ermöglichen. Die Erziehungsberechtigten werden immer wieder darauf hingewiesen, dass die Teilhabe ihrer Kinder am Kita-Alltag nicht davon abhängig sein darf, ob die I-Helfer anwesend sind oder nicht (z.B. bei Ausfall aufgrund von Krankheit oder Kündigung durch Überforderung der nicht geschulten Assistenzen).

 

Die Praxis zeigt jedoch, dass sich eine Betreuung der Kinder mit besonderem Förderbedarf, vor allem in dem Falle, dass es sich um sozial-emotionale Auffälligkeiten handelt, nur selten durch kitainterne Maßnahmen umsetzen lässt. Diese Kinder haben z.B. keine bis eine geringe Frustrationstoleranz. Diese kann dazu führen, dass die Kinder aus keinem zuvor ersichtlichen Grund aus dem Nichts heraus mit Tischen oder Stühlen um sich schmeißen. Sie beißen, treten oder würgen andere Kinder und/oder die pädagogischen Fachkräfte, z.B. weil nicht umgehend auf ihr Bedürfnis reagiert wurde und sie keine Handlungsalternative anwenden können. Dieses Verhalten gefährdet nicht nur die eigene Person, es kann auch für die anderen Kinder oder die Mitarbeitenden gefährlich werden. Die Verpflichtung der Träger, die Kinder auch dann zu betreuen, wenn keine ihpL genehmigt wurden und/oder die genehmigten Stunden nicht geleistet werden können, führt zu einer dauerhaften Belastung der Gruppe und des Personals. Die Träger müssen Sorge haben, dass die Mitarbeitenden, die einem solchen Verhalten dauerhaft ausgesetzt sind, unter einer dauerhaften Überlastung leiden, krank werden und/oder kündigen.

 

Ein weiteres Problem ist, dass der Großteil der eingesetzten I-Helfer kein pädagogisches Fachpersonal ist. Vielmehr sind die meisten I-Helfer ungelernte Kräfte, die aufgrund des Verhaltens der sozial-emotional auffälligen Kinder schnell an ihre Belastungsgrenze kommen und nicht selten die Betreuung der ihnen anvertrauten Kinder wieder abgeben. Die Kinder erleben diese Abbrüche der ihnen nahestehenden Betreuer als einen starken Verlust und vielleicht sogar als eine Ablehnung ihrer Person, was für das Störungsbild zusätzlich schädlich ist. In Haan gibt es mehrerer solcher Kinder, die im Bereich des sozial-emotionalen Verhaltens Auffälligkeiten zeigen und in einer Regel-Kita und in deren Strukturen kaum zu betreuen sind. Teils gibt es über diese Kinder Berichte, aus denen ganz klar hervorgeht, dass sie bestmöglich in heilpädagogischen Einrichtungen, möglichst in Kleinstgruppen betreut und aufgefangen werden sollten. Die Wartelisten solcher heilpädagogischen Einrichtungen im Kreis Mettmann sind jedoch lang. Die Fallmanager des LVR geben die Rückmeldung, dass sie leider keine weiteren Betreuungsplätze in solchen Einrichtungen zur Verfügung haben und die Kinder entsprechend in einer (inklusiven) Regel-Kita untergebracht werden müssen.

 

Zudem kommt, dass es derzeit nicht nur gängige Praxis ist, die Bewilligung der ihpL aufzuschieben. Auch die Bewilligungen der Anträge auf die Basisleistung I stagnieren schon seit einiger Zeit und die Eltern geben den Kitas die Rückmeldung, dass sie mit ihrem Antrag nicht weiterkommen.

 

Die derzeitige Praxis, gestellte Anträge liegen zu lassen und insbesondere die Förderung der ihpL zurückzufahren und damit die Kosten der BTHG-Leistungen massiv zu senken, wirft Fragen und Sorgen auf. Ab dem Jahr 2028 kommt die „große Lösung“, und die Kinder- und Jugendhilfe wird für alle Kinder und Jugendlichen – ob mit oder ohne Behinderung – leistungszuständig werden. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Senkung der Kosten zu einer Zeit, in der die Erhebung des Bedarfs für die Umsetzung der notwendigen Leistungen ansteht, fragwürdig, aber durchaus zielführend, wenn ab 2028 möglichst wenig Fördergelder für die Erfüllung der zukünftigen Aufgaben an die Kommunen weitergeleitet werden sollen.

 

Zwischen Land NRW und Kommunen besteht aktuell auch im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe keine vertrauensvolle Verantwortungsgemeinschaft. Die derzeitige Bewilligungspraxis durch den LVR lässt vermuten, dass auf dem Rücken der Kinder mit Förderbedarf, deren Familien, der Mitarbeitenden in Kitas und der kommunalen Finanzen gerade die Weichen für eine erneut deutlich unterfinanzierte Aufgabenübertragung an die Kommunen ab dem Jahr 2028 gestellt werden.

 

 

 

Beschlussvorschlag:

Die Ausführungen der Verwaltung werden zur Kenntnis genommen.

Finanz. Auswirkung:

keine

Nachhaltigkeitseinschätzung:

Bezugnehmend auf den Kriterienkatalog für die Nachhaltigkeitseinschätzung der Haaner Nachhaltigkeitsstrategie liegen weder fördernde noch hemmende Auswirkungen vor.