Sachverhalt:
I. Ausgangsbedingungen
„Pflege
und Erziehung sind das natürliche Recht
der Eltern
und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ ( Art. 6 Abs.2 Satz 1
GG).
Der Schutz des Kindes vor Gefahren für sein Wohl
obliegt damit den Eltern im Rahmen ihrer elterlichen Sorge bzw. den Personen,
denen die Eltern die Ausübung von Angelegenheiten der Personensorge vertraglich
übertragen.
Erziehung, Betreuung und Bildung von Kindern liegt in
der gemeinsamen Verantwortung von Familie und Gesellschaft. Für das Aufwachsen
von Kindern, für ihre Erziehung und Persönlichkeitsentwicklung, für
Vertrauensbildung und Bindungsfähigkeit stehen zu allererst die Eltern in der
Verantwortung.
Kommunale Familienpolitik ist in der Verantwortung,
gute Rahmenbedingungen für das Aufwachsen von Kindern zu schaffen. Kommunale
Kinder- und Jugendhilfe ist dann erfolgreich, wenn sie die Verantwortung
übernimmt, tragfähige soziale Infrastrukturen zu schaffen sowie kinder- und
familienfreundliche Lebensbedingungen zu erzeugen. Insbesondere die
Unterstützung von Familien bei der Erfüllung ihrer erzieherischen Aufgaben
gehört in diesen Bereich. Parallel dazu sind auch der Schutz und das Wohl von
Kindern unverändert stark im Blickpunkt des öffentlichen Interesses.
Das Aufgabenfeld der Kinder- und Jugendhilfe erstreckt
sich demzufolge von der aktiven Gestaltung der Lebensbedingungen bis zur
Reaktion auf soziale Problemlagen. Hier zeigt sich die konzeptionelle
Bandbreite der Kinder- und Jugendhilfe. Dabei kommt den Gesichtspunkten
„Kindeswohl“ und „Kinderschutz“ eine besondere Bedeutung zu. Das Kindeswohl und
der Kinderschutz sind die Richtschnur für das tägliche Handeln.
II. Kindeswohlgefährdungen
Die Verwaltung hat in der Sitzung des
Jugendhilfeausschusses vom 16.09.2008 mit dem Bericht zur Arbeit des
Bezirkssozialdienstes die Aufgabenstellung des BSD detailliert vorgestellt, so
dass in dieser Vorlage zum Thema * Kinderschutz* nur eingeschränkt darauf
eingegangen werden soll.
Die sachliche Zuständigkeit und somit auch die
Verantwortung bei jedem gewichtigen Anhaltspunkt für eine Kindeswohlgefährdung
liegt bei der einzelfallzuständigen Fachkraft des Bezirkssozialdienstes. Diese
Zuständigkeit umfasst zum einen die inhaltliche Aufgabenzuweisung, zum anderen
muss die örtliche Zuständigkeit greifen, die im Jugendamt der Stadt Haan
straßenbezogen zugeordnet ist.
Gehen einer zuständigen Fachkraft Mitteilungen oder
Hinweise zu, die Anhaltspunkte über eine geschehene oder akut drohende
Kindeswohlgefährdung beinhalten, so muss sie umgehend tätig werden. Durch
Hausbesuche, Gespräche etc. macht die Fachkraft sich ein eigenes Bild von der
Lebenssituation des Kindes. Gibt es daraus konkrete Anhaltspunkte für eine
akute oder eine akut drohende Kindesvernachlässigung oder Kindesmisshandlung,
hat die Fachkraft nach Beratung im Fachteam (Risikoabschätzung), unter
Beteiligung der Eltern und des Kindes/Jugendlichen Hilfe für das Kind durch sofortige Intervention einzuleiten, um
die Gefährdung zu beseitigen. Ggf. ist auch das Familiengericht anzurufen.
Im internen Ablauf zur Beurteilung einer
Gefährdungssituation und den sich daraus ergebenden Handlungsabläufen ist das
Verfahren im Jugendamt festgelegt und wird entsprechend umgesetzt.
Das SGB VIII verpflichtet in § 16 die Jugendämter zu
präventiven Angeboten und fordert sie auf, selbst offensiv auf Familien
zuzugehen, sie über die Angebote zu informieren und Hilfen anzubieten. Sollen
Familien in schwierigen Lebenssituationen frühzeitig erreicht werden, ihnen der
Zugang zur Hilfe erleichtert und die Schwellen zu deren Inanspruchnahme verkleinert
werden, erfordert dies verstärkt aufsuchende zugehende Angebote.
An dieser Stelle sei nur kurz darauf hingewiesen, dass
durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen , zum Beispiel in Form der zu
verabschiedenden Kooperationsvereinbarung mit dem Gesundheitsamt zur
Sicherstellung der nachgehenden Hilfen bei fehlenden Vorsorgeuntersuchungen im
Kreis Mettmann, die Aufgabenstruktur des BSD sich verändert bzw. einen höheren
Standard erhält. Dieses Zusammenwirken von Jugendhilfe und Gesundheitshilfe
verfolgt ebenfalls das Ziel, den Kinderschutz zu stärken. Diese zusätzliche,
neue Aufgabe erweitert das Aufgabenfeld im BSD.
Resümierend lässt sich festhalten, dass auf Grund der
Aufgabendichte und dem wachsenden Aufgabenumfang im Bereich des
Bezirkssozialdienstes, keine
Zeitkontingente zur Verfügung stehen, für zusätzliche Projekte und neue
Aufgaben und um Angebote im präventiven Bereich für Familien auszubauen.
Übereinstimmend wurde in bisherigen Diskussionen festgestellt, dass in diesem
Aufgabengebiet dauerhaft zusätzlich eine halbe Fachkraftstelle erforderlich ist
und diese auch im Stellenplanentwurf 2009 Berücksichtigung finden soll.
Der Gesetzgeber beschreibt in § 79 Abs.3 SGB VIII dass der Träger der
öffentlichen Jugendhilfe für eine
ausreichende Ausstattung der Jugendämter sorgen muss – dazu gehört eine dem
Bedarf entsprechende Zahl von Fachkräften. Damit soll die Fachlichkeit der
Jugendhilfe auch auf der organisatorischen Ebene abgesichert werden. Diesen
gesetzlichen Anforderungen wird mit dem Stellenplanentwurf 2009 entsprochen.
III. Frühe Hilfen für Familien – Soziales
Frühwarnsystem
Das Hilfe- und Unterstützungssystem im Bereich der Familie und Jugendhilfe, im Gesundheits- und Schulwesen sowie bei der Polizei und Ordnungsbehörden weist ein breites Spektrum adäquater Angebote und Leistungen für Familien auf.
„Frühe Hilfen“ sind dabei alle Maßnahmen für Kinder,
Eltern und Familien, die dazu beitragen, die Entwicklungsbedingungen von
Kindern zu verbessern. Für den Bereich der „Frühen Hilfen“ gibt es unterschiedliche
und vielfältige Maßnahmen und Projekte. Angebote der Familienbildung und
Erziehungsberatung, die Angebote der Kindertagesbetreuung und der
Kindertagespflege, die Beratung durch das Jugendamt, der Ausbau der U-3
Betreuung sowie der Ausbau der Familienzentren
sind nur beispielhaft genannt für die Angebotspalette für „Frühe Hilfen“
für Eltern. Gleichwohl gibt es im Hinblick auf „Frühe Hilfen“ für Familien eine
Lücke. Es fehlt an einem systematischen, abgestimmten institutionellen
Verfahren und an entsprechenden Handlungsschritten für die Einleitung von
„Frühen Hilfen“. Diese Lücke kann und muss durch den Aufbau eines präventiven
sozialen Frühwarnsystems geschlossen werden.
Die Idee eines Frühwarnsystems ist nicht neu und wurde
zuletzt im Januar 2007 verstärkt durch das „Handlungskonzept der
Landesregierung für einen besseren und wirksameren Kinderschutz in
Nordrhein-Westfalen“; hierbei wird der flächendeckende Ausbau von sozialen
Frühwarnsystemen angestrebt. Die verschiedenen, vorhandenen Projekte mit zum
Teil unterschiedlichen Ansätzen eines Frühwarnsystems verfolgen ein gemeinsames
Ziel: Vernachlässigte Kinder unter drei Jahren so früh wie möglich zu finden
und zu schützen.
Frühe Hilfen für Familien mit Säuglingen und
Kleinkindern werden nur durch eine gute Kooperation zwischen Gesundheitshilfe
und Jugendhilfe erreichbar sein. Sollen Familien mit Kindern von 0 bis 3 Jahren
angesprochen werden, können Einrichtungen des Gesundheitswesens wichtige
Zugangs- und Vermittlungsfunktionen übernehmen. Meistens haben Familien zu den
Einrichtungen des Gesundheitsbereiches größeres Vertrauen als zum Jugendamt.
In der öffentlichen Debatte gibt es
unterschiedliche Auffassungen darüber, was dem Kindeswohl dient. Grundlage
aller Interventionen sollte allerdings die Bündelung aller Fachkräfte und
Handlungsstrategien vor Ort darstellen, um Misshandlungen, Missbrauch und
Vernachlässigungen von Kindern und Jugendlichen vorzubeugen. Dazu ist es
erforderlich, Kooperationsstrukturen aufzubauen, die in Gefährdungssituationen
von Kindern und Jugendlichen die Handlungsoptionen bei allen Beteiligten
erweitern.
Zur Umsetzung dieser Vernetzungsaufgaben müssen
verbindliche und transparente Informations- und Kooperationsstrukturen vor Ort
geschaffen werden. Um hilfsbedürftige Familien
frühzeitig zu erreichen, muss ein Netzwerk der verschiedenen Fachkräfte
aufgebaut werden. Es werden Hebammen und Ärzte ebenso beteiligt sein, wie
Kindertagesstätten und Kinderärzte. Im Sinn des Frühwarnsystems erfolgt eine
systematische Verzahnung von Gesundheits-, Kinder -und Jugendhilfe auf
kommunaler Ebene.
„Soziale Frühwarnsysteme zielen darauf ab, Probleme in
unterschiedlichen Lebenslagen von Kindern und Familien frühzeitig zu erkennen,
niederschwellig Hilfen zugänglich zu machen und die Qualität, Effektivität und
Effizienz durch eine Kooperation aller potentiell beteiligten Fachkräfte und
Institutionen zu verbessern“.(ISA 2007)
Soziale Frühwarnsysteme ( s. Anlage 1) führen drei Basiselemente zusammen:
Wahrnehmen einer riskanten Entwicklung (in einem
möglichst frühen Stadium)
Warnen im Sinne des Aufzeigens von
Handlungsbedarf
Handeln nach einem zwischen den Beteiligten
abgestimmten Verfahren
Damit ist das soziale Frühwarnsystem eine in sich
geschlossene Reaktionskette. Sie wird zwischen Fachkräften verschiedener
familienunterstützender Institutionen vereinbart.
IV. Projektumsetzung
Um in der Stadt Haan ein Soziales Frühwarnsystem
aufbauen zu können, muss in enger Zusammenarbeit mit allen beteiligten Akteuren
eine Angebotsstruktur entwickelt werden, die eine gesunde und geborgene
Gestaltung der ersten Lebensjahre eines Kindes gewährleistet. Die aktuelle
politische Diskussion in den Ratsgremien stellt hierbei auf die positiven
Erfahrungen in den anderen Städten ab und fordert ein, diese Struktur/ dieses Angebot auch bei der
Stadt Haan vorzuhalten.
Das Zusammenspiel von Fachleuten und Institutionen
eröffnet im Interesse von Kindern neue Chancen des Aufwachsens in gemeinsamer
Verantwortung. Dabei ist die Ausgestaltung und Weiterentwicklung der
notwendigen Kooperationsbeziehungen ein wesentliches Ziel. Eine verbindliche
Kooperation zwischen Jugendhilfe und Gesundheitshilfe ist als erfolgversprechend
für „Frühe Hilfen“ einzuschätzen. Gerade die Schnittstelle zur Familienhebamme
kann als planungsrelevanter Aspekt eingestuft werden.
In einem ersten Umsetzungsschritt ist zunächst
festzustellen, welche bestehenden fachlichen Strukturen im Sinne eines Netzwerkes
vorhanden sind und wie sie zur Weiterentwicklung genutzt werden können. Dazu
zählen die diejenigen Personen und Einrichtungen, die unmittelbar mit
Schwangerschaft, Geburt und
nachfolgender Versorgung befasst
sind (Kinderärzte, Gynäkologen, Beratungsstellen für Schwangere und
Familie, Hebammen, Einrichtungen der Familienbildung). Bestehende andere
Fachdienste, die ebenfalls in dem Stadium der Gründung einer Familie mit
Kindern eingebunden sind, sind ebenso zu berücksichtigen. Indikatoren auf deren
Grundlage Warnhinweise und mögliche Eingriffe zum Schutz des Kindeswohls
erfolgen, sollen in Haan einheitlich vereinbart werden.
In der Fachtagung am 16.März 2009 werden hierzu erste
konzeptionelle Überlegungen diskutiert. Grundsätzlich gilt dabei das Prinzip,
auf bereits bestehende Angebote sowie entwickelte und bewährte Instrumentarien
zurückzugreifen, um ein tragfähiges Gesamtsystem im kommunalen Raum aufzubauen.
Das Ziel des sozialen Frühwarnsystems und der
frühzeitigen Förderangebote ist ein umfassendes, bedarfgerechtes,
niederschwelliges Hilfsangebot, das die Betroffenen auch erreicht, das allen
Kindern zu Gute kommt und Diskriminierungen vermeidet.
Die Verwaltung wurde aufgefordert, entsprechende
Umsetzungsvorschläge einzubringen, die diesen direkten Kontakt mit den Eltern
nach der Geburt unter anderem in den Mittelpunkt des Handelns stellt. Dies wird
als eine verlässliche Basis für die Steuerung einer zukünftigen Betreuung
gesehen.
Ein unterstützendes Element eines Frühwarnsystems in
Haan können die sogenannten „Begrüßungspakete“ für Neugeborene und deren
Mütter/ Väter sein. Dieses Angebot kann
als konsequenter Besuchsdienst eingerichtet werden, der die Familien nach jeder
Geburt aufsucht. Die Besuche sollen sicherstellen, dass die jungen Familien Informationen
und bedarfsgerechte Förder- und Unterstützungsangebote erhalten. Ein
Besuchsdienst, der Familien nach der Geburt aufsuchen sollte, ist somit
Bestandteil eines Netzwerkes von Fachlichkeit vor Ort, das möglichst alle
Signale auffängt, wenn es um Gefährdung eines Kindes geht. Besondere Bedeutung
hat hierbei eine präzise Abgrenzung zwischen Beratungs- und
Unterstützungsangebot einerseits und Aufgabenwahrnehmung des Jugendamtes in
seiner Schutzfunktion für Kinder.
In der Sitzung der Arbeitsgemeinschaft nach § 78 SGB VIII am 17. November 2008 wurde das
Begrüßungspaket der Stadt Heiligenhaus vorgestellt. Deutlich wurde dabei,
dass eine umfangreiche Vorarbeit zu
leisten ist, um den Inhalt eines Begrüßungspaketes zu etablieren. In
Heiligenhaus wurde das Begrüßungspaket durch eine intensive Vorbereitungsphase
mit personeller Verstärkung im Jugendamt und durch eine sehr gute
Vernetzungsarbeit eingeführt. Ebenso sind entsprechende Kooperationspartner und Sponsoren
anzusprechen und für ein solches Projekt zu gewinnen. Ein fester Bestandteil
eines Begrüßungspaketes können Elternbriefe sein, die Informationen zum
Entwicklungsstand des Kindes, entsprechend dem Alter des Kindes geben.
Fazit:
Um den dargestellten Aufgabenkomplex zur Etablierung
eines sozialen Frühwarnsystems und den Aufbau eines Begrüßungspaketes
erarbeiten zu können, ist es notwendig, dass die personelle Ressource im
Jugendamt in Form einer zusätzlichen 0,5 Stelle für den Einsatz einer
pädagogischen Fachkraft zur Verfügung gestellt wird. Erst mit Einsatz dieser
notwendigen Personalverstärkung ist eine Vorlauf- bzw. Vorbereitungsphase zur
Koordination erforderlicher Gesprächsrunden mit den möglichen Netzwerkpartnern
umsetzbar.
Nach
Berücksichtigung der erforderlichen Personalressource im Stellenplan
2009 und entsprechender Stellenbesetzung wird die Verwaltung zusammen mit dem
Jugendhilfeausschuss die Konzeption für ein Haaner Frühwarnsystem abschließend
erarbeiten.
Finanzielle Auswirkungen:
Für den beschriebenen umfangreichen Aufgabenkomplex auf
der Präventionsebene sowie im Bezirkssozialdienst ist der Einsatz von
pädagogischen Fachkräften, Sozialpädagogin/ Sozialpädagoge erforderlich. Bei
einer Eingruppierung nach dem TVÖD
Entgeltgruppe 9, Stufe 2 entstehen jährlich Personalkosten in Höhe von rd.
40.000 EUR für zwei halbe Stellen.
Bei verschiedenen öffentlichen Trägern der Jugendhilfe
sind die bisherigen Eingruppierungen der sozialen Fachkräfte, insbesondere im
Bezirkssozialdienst bzw. allgemeinen Sozialdienst, nach oben verändert worden. Weitergehende
Bestrebungen sind bekannt, auch in der Haaner Verwaltung wurde zur
Qualitätssicherung und Kontinuität in der Arbeit eine Höhergruppierung
thematisiert, jedoch noch nicht abschließend entschieden.
Darüber hinaus werden Kosten für den Ausbau der
Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten entstehen. Die Einführung und das
Versenden von Elternbriefen für Kinder im Alter bis 9 Jahre verursacht Kosten von rd. 50.000 EUR.
Beschlussvorschlag:
- Der Jugendhilfeausschuss schließt sich den Ausführungen der Verwaltung zum Aufbau eines Frühwarnsystems und den sich daraus ergebenden Handlungsschritten an.
- Der Jugendhilfeausschuss befürwortet die genannte personelle Verstärkung im Bereich der Prävention in Form einer zusätzlichen Fachkraft mit einem Stundenumfang einer 0,5 Stelle sowie die Aufstockung im Bezirkssozialdienst in Form einer halben zusätzlichen Fachkraftstelle.
- Die Verwaltung wird gebeten, die sachgerechte Eingruppierung der sozialen Fachkräfte im Sinne der Qualität und Kontinuität zu überprüfen.
Finanz. Auswirkung:
s. Sachverhalt