Betreff
Flüchtlings- und Obdachlosenbetreuung in Haan mit städtischem Personal
- Ergänzungsvorlage zu 50/035/2020: Ausführungen zum Subsidiaritätsprinzip
Vorlage
50/035/2020/1
Art
Beschlussvorlage
Referenzvorlage

Sachverhalt:

 

Ausführungen zum Subsidiaritätsprinzip

 

Die Stadtverwaltung Haan hat sich in der Vorlage 50/035/2020 unter Bezugnahme auf die Anfrage der GAL vom 20.02.2020 mit der Frage auseinandergesetzt, ob und wie die Flüchtlings- und Obdachlosenbetreuung in Haan in Zukunft mit städtischem Personal umgesetzt werden könnte. In der Vorlage hat die Verwaltung die entsprechenden Vorteile, aber auch die Nachteile dargestellt und sich auch mit den zu erwarteten Kosten der Durchführung des Sozial- und Integrationsmanagements (im Folgenden SIM genannt) durch eigenes Personal auseinandergesetzt.

 

Der Vertrag mit dem bisherigen Dienstleister läuft am 31.12.2021 aus.

 

Es ist zu entscheiden, ob zukünftig die Betreuung von Flüchtlingen und Wohnungslosen durch eigenes Personal, durch einen Träger der freien Wohlfahrtspflege im Rahmen eines Zuwendungsbescheides oder im Rahmen einer Beauftragung eines Dienstleisters nach der Durchführung eines Vergabeverfahrens erfolgen soll. Aufgrund der kritischen Anmerkungen zum Ausschreibungsverfahren 2019 sieht es die Verwaltung im Falle der Entscheidung zur Durchführung eines weiteren Vergabeverfahrens als dringend erforderlich an, einen angemessenen Zeitraum zur Verfügung zu haben, die geäußerten Bedenken in einem neuen Ausschreibungsverfahren entsprechend zu berücksichtigen.    

 

Ergänzend zur Vorlage 50/035/2020 wird nachfolgend das Subsidiaritätsprinzip der sozialen Arbeit erläutert.

 

Der Begriff der Subsidiarität bezieht sich auf den Nachrang staatlicher Aufgabenerfüllung, wenn der bestehende Bedarf durch freie Träger der Wohlfahrtspflege oder freie gewerbliche Dienstanbieter gedeckt werden kann. Die frühere Diskussion über Vorrang und Nachrang der Aufgabenerledigung durch freie Träger ist durch die Entscheidung des BVerfG vom 18.07.1967 (E 22, 180) beendet und durch die Feststellung der Gleichheit der öffentlichen und privaten Träger abgelöst worden. Ein allgemeiner strikter Subsidiaritätsgrundsatz (außer das europarechtlich relevante Subsidiaritätsprinzip in Art. 23 GG) ist weder im Grundgesetz noch in den Länderverfassungen niedergelegt - weder ausdrücklich noch so, dass er sich aus Sinn und Zweck einer oder mehrerer Normen oder des Gesamttextes sicher und präzise entnehmen lassen würde.

 

Im Rahmen der Sozialgesetzgebung gibt es allerdings vielfältige Regelungen, die darauf abzielen, dass die öffentliche Hand von der Durchführung eigener Aufgaben dann absehen soll, wenn geeignete Einrichtungen und Dienste der Träger der freien Wohlfahrtspflege zur Verfügung stehen, so insbesondere im SGB VIII. Im Rahmen des SGB XII ist gleiches in den §§ 5 und 75 verankert. Die Regelungen des § 75 SGB XII greifen in dem hier zu beurteilenden Fall nicht durch, da hier kein sogenanntes sozialrechtliches Dreiecksverhältnis vorherrscht.

 

In § 17 SGB I, welcher für alle Sozialgesetzbücher gilt, ist geregelt, dass in der Zusammenarbeit mit gemeinnützigen und freien Einrichtungen und Organisationen die Leistungsträger daraufhin wirken, dass sich ihre Tätigkeit und die der genannten Einrichtungen und Organisationen zum Wohle der Leistungsempfänger wirksam ergänzen. Die staatlichen Leistungsträger haben dabei deren Selbständigkeit in Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben zu achten (§ 17 Abs. 3 S. 2 SGB I).

 

Im Rahmen der Flüchtlingsbetreuung ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei um keine Leistung nach dem SGB handelt, sondern insbesondere aufgrund des § 4 a Abs. 2 FlüaG dem Verwaltungsrecht zuzuordnen ist.

 

Der Bereich der Beratungen und Hilfen im Hinblick auf die Betreuung von Obdach- und Wohnungslosen ist in § 67 SGB XII geregelt, so dass § 5 SGB XII Beachtung finden muss. In § 5 Abs. 2 SGB XII ist geregelt, dass der Träger der Sozialhilfe bei der Durchführung des SGB XII mit den Kirchen und Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts sowie den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege zusammenarbeiten soll. Er achtet dabei deren Selbständigkeit in Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben.

 

Dies hat der örtliche Träger der Sozialhilfe, hier der Kreis Mettmann getan, indem dieser mit dem Caritasverband im Kreis Mettmann e.V. die Fachberatungsstelle Wohnungslosenhilfe in Mettmann errichtet hat und entsprechend fördert. Konzeptionell unterscheidet sich das Angebot der Fachberatungsstelle für Wohnungslose im Unterschied zum SIM darin, dass die Fachberatungsstelle nicht die Ratsuchenden aufsucht (aufsuchender Ansatz), sondern diese die Beratungsstelle aufsuchen müssen (Kommstruktur).

 

In den Unterkünften leben jedoch zunehmend Menschen mit multiplen Problemlagen. Oft gelingt es ihnen nicht, Beratungs- und Unterstützungsangebote aufzusuchen. Dadurch geraten Männer und Frauen in immer größere Problemlagen, was sich direkt auf die Verweildauer in den Notunterkünften auswirkt. Das Wohnen und Leben in der Notunterkunft wird zum Dauerzustand, was ordnungsrechtlich so nicht vorgesehen ist.

 

Vor diesem Hintergrund bot und bietet die Stadt Haan den betroffenen Menschen ein aufsuchendes, niederschwelliges Beratungsangebot an, indem das SIM ins Leben gerufen wurde. Die Stadt Haan betraute vom 01.09.2008 bis Mitte 2018 den Caritasverband im Kreis Mettmann mit der Ausführung dieses Angebotes, ohne dass ein Vertragsverhältnis vorlag. Vielmehr wurden die Leistungen vom Caritasverband für die oben genannte Dauer auf der Basis von Zuschussgewährungen durch die Stadt Haan erbracht. Die Stadtverwaltung hatte wegen dieser Zuschussgewährung und dem Grundsatz, die Selbständigkeit der Wohlfahrtsverbände auch in Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben zu achten, keinen einklagbaren Anspruch auf die Erbringung der Leistungen. Eine Steuerung der Beratungsprozesse und ein wirksames Controlling aufgrund von Zielvorgaben waren damit nicht möglich.

 

Von dieser Jahrzehnte andauernden Praxis ist die Stadtverwaltung im Jahr 2018 abgewichen, weil diese im Rahmen der eigenen Zielsetzung und Steuerungserfordernisse ein auf Leistung und Gegenleistung basierendes Vertragsverhältnis begründen wollte, welches der Stadt einen einklagbaren Anspruch auf die Leistung zur Verfügung stellt. Weil hier ein einklagbarer Anspruch begründet werden sollte, war das SIM auszuschreiben (s.u.).

 

Eine gesetzliche Grundlage dafür, dass die Stadt Haan die Wohlfahrtsverbände oder gewerblich handelnde Dritte mit der Durchführung des SIM zu beauftragen hat, existiert nicht.

 

Mit der Errichtung des SIM hat die Stadt Haan ein freiwilliges Angebot geschaffen, um den Belangen der Betroffenen über das gesetzlich geforderte Maß hinaus gerecht zu werden und ihnen als Zielsetzung ein selbstbestimmtes Leben außerhalb der Unterkunft – möglichst ohne den Bezug von Transferleistungen – zu ermöglichen. Diese freiwillige Aufgabe ist unter Beachtung des haushaltsrechtlichen Sparsamkeits- und Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes durchzuführen. Die freiwillige Aufgabe mit eigenen Mitarbeitern über Zielvorgaben zu realisieren, verstößt daher nicht gegen das Subsidiaritätsprinzip. Insbesondere wäre die Stadtverwaltung rechtlich daran gehindert, das Angebot des SIM ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens an einen Wohlfahrtsträger zu vergeben und mittels einer Zuwendung zu finanzieren. 

 

Die Kommunen sind als öffentliche Auftraggeber grundsätzlich den Vorgaben des Vergaberechts unterworfen. Die Reichweite der Ausschreibungspflicht richtet sich nach der Art der zu erbringenden Leistung (hier soziale und sonstige Dienstleistungen) sowie dem Auftragswert. Vereinfacht gesagt müssen Auftraggeber (im Sinne von § 98 GWB) öffentliche Aufträge (im Sinne von § 103 GWB) europaweit ausschreiben, sofern der geschätzte Auftragswert oberhalb des jeweiligen Schwellenwertes (im Sinne von § 106 GWB; derzeit für soziale Dienstleistungen 750 T€) liegt, sofern keine geschriebene oder ungeschriebene Ausnahme von der Vergabepflicht vorliegt.

 

Entscheidend ist somit, ob die Übertragung der vorgenannten Aufgabe als öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 GWB zu qualifizieren ist. Öffentliche Aufträge sind entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen (im weiteren Sinne) über die Beschaffung von Leistungen, die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Die Trägerschaft für die Durchführung des SIM beinhaltet, dass der Träger Dienstleistungen mittelbar für die Kommune erbringt. Dies deutet zunächst auf einen Dienstleistungsauftrag hin, bedeutet dies jedoch nicht zwingend. Vielmehr kann auch ein Zuwendungstatbestand gegeben sein.

 

Es bleibt daher die Frage, ob die Durchführung des SIM ein vergaberechtlicher Dienstleistungsauftrag oder eine haushaltsrechtliche Zuwendung ist. Anders als das Vergaberecht sehen die zuwendungsrechtlichen Bestimmungen des Haushaltsrechts keinen formalen Vergabewettbewerb vor.

 

Nach der Rechtsprechung des EuGH zum Begriff des öffentlichen Auftrags kommt es zur Abgrenzung einer haushaltsrechtlichen Zuwendung und einem vergaberechtlichen Auftrag  zentral darauf an, ob der Auftragnehmer direkt oder indirekt die Verpflichtung zur Erbringung der Leistungen, die Gegenstand des Auftrags sind, übernimmt und dass es sich um eine einklagbare Verpflichtung handelt (Stichwort: einklagbare Leistungspflicht). Auch nach der zuwendungsrechtlichen Literatur erfolgt die Abgrenzung zwischen einer haushaltsrechtlichen Zuwendung einerseits und einem vergaberechtlichen Auftrag andererseits anhand des Bestehens/Nichtbestehens einer Gegenleistungspflicht desjenigen, der die Leistung der öffentlichen Hand erhält. Wie oben schon dargestellt, kam es der Stadtverwaltung Haan gerade darauf an, einen einklagbaren Anspruch auf die Leistung zu begründen.

 

Aufgrund der Tatsache, dass die Leistung des SIM auszuschreiben war und ist, kommt das historisch vermittelte Prinzip der katholischen Soziallehre, das den Wohlfahrtsverbänden eine Vorrangstellung einräumt, nicht zum Tragen. Vielmehr greifen die wettbewerbsrechtlichen Regeln durch, die auch gewerblich handelnden Dritten die Möglichkeit der Partizipation an sozialen Dienstleistungen einräumt.

 

Wenn die Leistung auszuschreiben ist, dann werden die für die eigene Aufgabenerfüllung in der Vorlage 50/035/2020 genannten Vorteile, aber auch die Nachteile relevant. Das gilt auch im Hinblick darauf, dass nach derzeitigem Stand die Durchführung des Betreuungsmanagements durch die Stadt preisgünstiger ist als die Erledigung der Aufgabe durch Dritte.

 

Es ist nunmehr zu entscheiden, ob das Sozial- und Integrationsmanagement zukünftig im Rahmen einer ggf. europaweiten Ausschreibung, durch Erteilung eines Zuwendungsbescheides ohne einklagbaren Rechtsanspruch auf die Leistung oder durch eigenes Personal erledigt werden soll.

 

Beschlussvorschlag:

 

Die Betreuung der Flüchtlinge und Obdachlosen wird perspektivisch mit eigenem Personal durchgeführt, sobald der Vertrag mit European Homecare zum 31.12.2021 ausläuft. Die Verwaltung wird beauftragt wird, keine erneute externe Ausschreibung der Leistung vorzunehmen, sondern hierfür drei Stellen im Stellenplan 2022 zu berücksichtigen.

 

Finanz. Auswirkung:

 

siehe Sachverhalt