Betreff
Flüchtlings- und Obdachlosenbetreuung in Haan mit städtischem Personal
Vorlage
50/035/2020/2
Art
Beschlussvorlage
Referenzvorlage

Sachverhalt:

 

Der SIGA hat in seiner Sitzung vom 28.01.2021 einstimmig beschlossen, die Verwaltung zu beauftragen, im nächsten SIGA zu berichten, in welchem Umfang das SIM perspektivisch zum 01.01.2022 mit Zuwendungsbescheid an die Caritas des Kreises Mettmann vergeben werden kann. Grundsätzlich kann die Aufgabe des SIM, soweit im Einzelfall rechtlich zulässig, sowohl im Wege einer Zuwendung als auch im Wege einer Auftragsvergabe als auch mit eigenem Personal als auch in einer Mischform durchgeführt werden. Jedoch bestehen erhebliche rechtliche Bedenken der Verwaltung gegenüber einer Rückkehr zu einer Aufgabenübertragung per Zuwendung auf einen Wohlfahrtsverband, nachdem im Jahr 2017/2018 entschieden wurde, eine förmliche Ausschreibung der Leistung durchzuführen. Zu den damals maßgeblichen Gründen für einen Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung des SIM wird auf die Vorlagen 50/002/2017 sowie 50/008/2018 und die in den Ausschüssen immer wieder vorgetragenen Argumente der Verwaltung, insbesondere zur Einklagbarkeit von Leistungsansprüchen, Bezug genommen. Zudem bestehen grundsätzliche Bedenken, für die Aufgabenwahrnehmung ausschließlich die Caritas vorzusehen. Der korrekte Prozessablauf ergibt sich aus den Ausführungen zum Beschlussvorschlag I. Die Liga der Wohlfahrtsverbände ist nach Rücksprache mit dem Kreissozialamt zwingend einzubinden.

 

Die Verwaltung hatte zuletzt mit der Ergänzungsvorlage 50/035/2020/1 ausgeführt, dass eine Aufgabenübertragung an die Caritas zur Übernahme des sozialen Betreuungsmanagements dann möglich ist, wenn die Übertragung der vorgenannten Tätigkeit keinen öffentlichen Auftrag im Sinne des § 103 GWB darstellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird inhaltlich auf die Ergänzungsvorlage 50/035/2020/1 verwiesen. Außerdem wird auf die Ausführungen des Fachanwaltes für Verwaltungsrecht Bastian Gierling vom 23.10.2019 Bezug genommen, welche sich die Verwaltung in rechtlicher Hinsicht zu eigen macht (Anlage 1). Hierin wird Bezug genommen auf eine Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 11.07.2018, wonach es grundsätzlich zulässig ist, die Betreuung von Flüchtlingen und Wohnungslosen durch die Gewährung von Zuschüssen zu finanzieren, ohne dass es einer öffentlichen Ausschreibung bzw. Auftragsvergabe bedarf. Gleichwohl steht es auch nach der Entscheidung des OLG grundsätzlich im Ermessen der Kommunen, diese Leistungen als öffentlichen Auftrag in einem Vergabeverfahren auszuschreiben. Zudem wird die OLG-Entscheidung in Fachkreisen durchaus kritisch beurteilt. Dem Zwischenfazit von Herrn Gierling schließt sich die Verwaltung an. Demnach hat die Stadt Haan bereits mit der Ausschreibung im Jahr 2018 das bis dato bestehende System der Zuschussgewährung an die Caritas mit der Auftragsvergabe zunächst an die Caritas (für die Dauer von 18 Monaten) und im Rahmen der zweiten Ausschreibung an European Homecare (für die Dauer von zwei Jahren) durchbrochen. Eine Rückkehr zum Zuschusssystem ist nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 11.07.2018 zwar grundsätzlich möglich, aber aus vergaberechtlicher Sicht nicht zu empfehlen. Daraus folgt ein nicht unerhebliches Klagerisiko, sollte die Verwaltung ab dem 01.01.2022 keine weitere Auftragsvergabe mehr anstreben, sondern stattdessen wieder zum „alten“ System der Zuschussgewährung zurückkehren. Damit kann die für die Bewohner_innen der städtischen Unterkünfte im Rahmen der Daseinsfürsorge immens wichtige Aufgabe des Sozial- und Integrationsmanagements leider nicht rechtssicher und mit der gebotenen Kontinuität garantiert werden, wenn sich der Rat der Stadt Haan mehrheitlich für die Alternative I entscheiden sollte.

 

Die der Verwaltung vorliegende „Handreichung zur rechtlichen Zulässigkeit von Ausschreibungen sozialer und erzieherischen Leistungen durch Kommunen“ (Anlage 2) ändert an der Einschätzung der Verwaltung hinsichtlich einer bestehenden Rechtsunsicherheit nichts. Die in der Handreichung dargelegten Argumente greifen hier nicht durch, da sich diese ausschließlich mit der Frage der Zulässigkeit von Ausschreibungen bei Leistungsvereinbarungen in sogenannten sozialrechtlichen Dreiecksverhältnissen (vgl. hierzu Vorlage50/035/2020/1) beschäftigt. Ein solches sozialrechtliches Dreiecksverhältnis liegt im Bereich des SIM allerdings nicht vor, da es an einer Rechtsbeziehung zwischen Leistungserbringer und Leistungsberechtigten fehlt, so dass von grundsätzlich unterschiedlichen Voraussetzungen auszugehen ist.

 

Wenn und soweit trotz der geäußerten rechtlichen Bedenken, die „Vergabe“ des SIM an einen Wohlfahrtsverband im Wege einer Zuwendung beschlossen werden sollte, ist, vorbehaltlich des Prüfungsergebnisses im Hinblick auf das europäische Beihilferecht, zunächst ein Kontakt mit der Liga der Wohlfahrtsverbände herzustellen. Im Rahmen dieses Kontaktes ist der Liga der Wohlfahrtsverbände eine Beschreibung der von der Stadt Haan gewünschten Betreuungs- und Beratungsleistung zu übersenden mit der Bitte zu prüfen, ob ein Mitglied der Liga Interesse an der Aufgabenerledigung hat.

Je nach der internen Vereinbarung der Liga mit den einzelnen Mitgliedern kann das u.U. auch ein anderer Wohlfahrtsträger als z.B. der Caritasverband im Kreis Mettmann sein. Insoweit wird zur Vermeidung von Beihilfeproblematiken dringend davon abgeraten, ohne Beteiligung der Liga der Wohlfahrtsverbände auf den Caritasverband im Kreis Mettmann zuzugehen. Eine europarechtlich unzulässige Beihilfe liegt vor, wenn Unternehmen oder Produktionszweigen mit oder durch staatliche Mittel Vorteile gewährt werden, durch die der Wettbewerb oder der zwischenstaatliche Handel verzerrt wird/werden kann. Die anerkannte Gemeinnützigkeit - wie im Fall der Caritas - schließt dabei die Unternehmereigenschaft im unionsrechtlichen Sinne nicht aus. Maßgeblich ist, ob der Caritasverband im Kreis Mettmann mit anderen Unternehmen im Wettbewerb steht. Es ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass die Caritas mit ihren angebotenen Betreuungsleistungen beispielsweise mit der Diakonie im "Wettbewerb" steht. Durch die Gewährung von Zuwendungen würde die Verwaltung der Caritas einen Wettbewerbsvorteil bieten, der unionsrechtlich generell verboten ist.

Sollte sodann ein Mitglied der Liga der Wohlfahrtsverbände ein Interesse an der Übernahme des SIM äußern, dann legt der Wohlfahrtsträger den Umfang seiner Tätigkeit im Rahmen seines Antrages auf Auszahlung von Zuwendungen fest.

 

Alternativ zur Durchführung des Sozial- und Integrationsmanagements ausschließlich mit eigenem Personal hat die Verwaltung geprüft, ob bestimmte Teilaufgaben der Betreuungsleistungen an einen Wohlfahrtsverband verlagert werden könnten.

Auch bei dieser Variante stellt sich die Frage, ob hier einem Wohlfahrtsverband mittels einer Zuwendung bestimmte Aufgaben mit einem geschätzten Stellenanteil von 0,3 - 0,5 VZÄ übertragen werden können oder ob auch hier im Rahmen des Vergaberechts eine Ausschreibung durchgeführt werden muss.

Es ist auch in dieser Variante bei der Übertragung von Teilaufgaben festzustellen, dass ein unmittelbarer Leistungsaustausch zwischen dem in Betracht kommenden Leistungserbringer und dem Auftraggeber besteht. Der Dritte erledigt im Auftrag des Auftraggebers eine Aufgabe, die dieser im Interesse des Auftraggebers zu erfüllen hat und erhält hierfür eine marktübliche Vergütung.

 

Aufgrund des konkreten Prüfauftrages des SIGA vom 28.01.2021 hat sich die Verwaltung umfassend mit der komplexen Beihilfe- und Vergabematerie befasst und ist im Ergebnis zu der o.g. rechtlichen Bewertung gelangt. Auch die im Rahmen der Sitzung des SIGA vom 28.01.2021 seitens der Verwaltung vorgetragene Alternative der zumindest teilweise möglichen Übertragung von einzelner Aufgaben des SIM im Wege einer Zuwendung ist aufgrund dieser rechtlichen Bewertung leider nicht aufrechtzuerhalten. Somit stehen nach Einschätzung der Verwaltung de facto nur zwei rechtssichere Alternativen zur Verfügung (Alternative II und III). Die Grundlage hierfür wurde bereits in den Jahren 2017/2018 geschaffen, als die Grundsatzentscheidung für die Ausschreibung der Leistung getroffen wurde. Bei der ersten Ausschreibung konnte die Caritas sich durchsetzen, bei der Anschlussausschreibung ging der Auftrag an European Homecare.

 

 

Beschlussvorschlag:

 

Alternative I: Das Sozial- und Integrationsmanagement (SIM) wird ab dem 01.01.2022 trotz rechtlicher Bedenken vollständig im Wege einer Zuwendung an einen Wohlfahrtsverband übertragen. Hierfür tritt die Verwaltung an die Liga der Wohlfahrtsverbände heran und übermittelt den Inhalt der gewünschten Beratungs- und Betreuungsleistungen mit der Bitte um Prüfung innerhalb der im Kreis Mettmann tätigen Wohlfahrtsverbände, welcher Verband diese Leistung übernehmen kann bzw. möchte.

 

Alternative II: Das SIM wird ab dem 01.01.2022 im Rahmen einer neuen Ausschreibung für die Dauer von fünf Jahren vergeben. Für die europaweite Ausschreibung werden nicht ausschließlich finanzielle Aspekte zugrunde gelegt, sondern in die Bewertungsmatrix auch qualitative Aspekte aufgenommen. Der Inhalt der Ausschreibung wird dem SIGA vorab zur Kenntnis gegeben.

 

Alternative III: Das SIM wird ab dem 01.01.2022 vollständig mit eigenem Personal durchgeführt. Hierfür werden in der Abteilung 50-2 (Asyl) drei unbefristete Vollzeitstellen neu geschaffen. Vgl.  Vorlage Nr. 50/035/2020 und 50/035/2020/1.

 

Finanz. Auswirkung:

 

sh. Vorlage 50/035/2020